Kurt Tucholsky hält den Deutschen einen Spiegel vor (9.Teil)

Im Jahr 1929 schrieb Kurt Tucholsky das Buch „Deutschland, Deutschland über alles“. Darin lieferte er eine Art Bericht zur Lage der Nation und hielt den Deutschen einen Spiegel vor. Das Werk ist ein Rückblick auf zehn Jahre Republik, die sich beharrlich weigerte, wirklich demokratisch zu werden. In einem großen Rundumschlag rechnete er noch einmal mit jenem „Teutschland“ ab, das er hasste und stets bekämpft hatte. Das Buch stellt eine wütende Attacke gegen den Staat dar, der nur zufällig Republik ist, gegen diese negative Monarchie, in der immer noch der alte wilhelminische Geist herrscht und sowohl die reaktionäre Justiz als auch das revanchelüsterne Militär weiterhin überragende Machtfaktoren verkörperten. Kurt Tucholsky übergoss die deutschen Spießbürger und Moralapostel mit Hohn und Spott und sparte nicht mit Seitenhieben auf fast alle „heiligsten Güter“ des Bürgertums.

Kurt Tucholsky erkannte früh die aufrüttelnde Wirkung von Fotos

Kurt Tucholsky schrieb mit „Deutschland, Deutschland über alles“ eine Art Tagebuch über die Entwicklung der Republik, einen Querschnitt durch Deutschland, in dem er Schicht um Schicht die Verwerfungen des politischen und gesellschaftlichen Lebens freilegte. Er brannte dabei ein brillantes Feuerwerk aus Witz und Wut ab. Aber aus dem Witz quoll auch das ganze Maß an Verachtung und Hohn, Spott und Hass heraus. Als die Nationalsozialisten die Reste der Demokratie endgültig beseitigt hatten, bedauerte Kurt Tucholsky, dass sein Deutschland-Buch noch viel zu milde gewesen sei.

Das Buch präsentiert auch das Ergebnis von Kurt Tucholskys langjähriger Beschäftigung mit der Fotografie. Die aufrüttelnde Wirkung von Fotografien hatte er schon 1912 erkannt. Kurt Tucholsky schreibt: „Eine Agitation kann gar nicht schlagfertiger geführt werden. [ … ] Nichts beweist mehr, nichts peitscht mehr auf als dieses Bilder.“ Er fährt fort: „Systematisch muss gezeigt werden: so wird geprügelt, und so wird erzogen, so werdet ihr behandelt, und so werdet ihr bestraft. Mit Gegensätzen und Gegenüberstellungen. Und mit wenig Text.“

„Schloß Gripsholm“ besticht durch Humor und Leichtigkeit

Eines seiner Credos lautete: „Es gibt Lagen, in denen das fotografierte Bild eines zerschossenen Arbeiters, einer stockigen Proletarierwohnung, eines gedunsenen Reichen mehr wirkt, als Wort und Zeichnung es je zu tun vermögen.“ Das Buch „Deutschland, Deutschland über alles“ sorgte für langanhaltenden heftigen Wirbel und spaltete Kurt Tucholskys Freunde wie Feinde in mehrere Lager. „Die Presse lobt – die Presse tobt“ brachte es eine Verlagsanzeige auf den einfaschten Nenner. In Schweden, nicht ganz hinter Dünen am Meer, aber mit Blick auf einen See mietete Kurt Tucholsky ab Januar 1930 in Hindås seine letzte Wohn- und Zufluchtsstätte.

Über das Land schrieb er ein Jahr zuvor folgendes: „Schweden ist ein liebes Land; der Gast hat fast nur freundliche Eindrücke. Es fällt leicht, den Schweden Komplimente zu machen: man braucht nur die Wahrheit zu sagen und es sind welche.“ Den Sommer 1931 verbrachte Kurt Tucholsky in England. Anfang Mai 1931 sorgte sein jüngstes Buch „Schloß Gripsholm“ für ein fast ausschließlich positives Echo. Die meisten Rezensenten hoben den Humor und die Leichtigkeit hervor, mit der das Buch geschrieben sei. Quelle: Kurt Tucholsky von Michael Hepp

Von Hans Klumbies