Glücklich sein, Erfüllung finden, einen Sinn erkennen – was im privaten Alltag längst der Anspruch ist, hält mehr und mehr auch im Berufsleben Einzug. Theo Wehner, Arbeits- und Organisationspsychologe an der ETH Zürich, sagt: „Heute geht es nicht mehr nur um Zufriedenheit, sondern um Sinnhaftigkeit bei der Arbeit.“ Die Ergebnisse von Umfragen in der Arbeitswelt sind allerdings ernüchternd: Nur gerade etwas mehr als zehn Prozent der Angestellten weltweit sind ihn ihrem Job glücklich, Tendenz stagnierend. Dass der Sinn in der Arbeit für die Leistung einer Firma entscheidend ist, haben Wissenschaftler und Experten längst herausgefunden. McKinsey schreibt im Quarterly vom Januar 2013: „Die Opportunitätskosten von fehlendem Sinn bei der Arbeit sind enorm.“ Denn fehlen Drive und Motivation – die Produktivität kann dann sogar bis auf ein Fünftel fallen.
Zu viele Vorschriften nagen an der Motivation der Mitarbeiter
Die Treiber einer solchen Negativspirale lassen sich leicht ermitteln. Norbert Thom, emeritierter Professor für Organisation und Personalwirtschaft der Universität Bern, sagt: „Der Sinn der Arbeit geht verloren, wenn ich nicht erkennen kann, welchen Nutzen meine Tätigkeit für andere hat, oder wenn ich keinen Einfluss darauf habe, wie ich meine Leistung erbringen darf. Sprich: Ich habe kaum Handlungsspielraum und viele Vorschriften.“ Aber auch fehlendes Feedback oder ein Endprodukt, das aus ethischer Sicht zweifelhaft ist, schlagen sich auf die Motivation nieder.
Jutta Rump, Professorin am Institut für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen, weiß: „Die Generation Y und Z, also die Jahrgänge ab 1980, fordern Sinn und Perspektive bei der Arbeit explizit ein. Das ist eine Generation, für die Arbeit und ein gutes Salär Basics sind. Darum geht es jetzt um höhere Werte.“ Tatsächlich ist die Suche nach Sinnhaftigkeit bei der Arbeit auch ein Phänomen hoch entwickelter Industrieländer. In den 1960er Jahren reichte es, wenn der Lohn stimmte. In den 1970er Jahren war Arbeitszufriedenheit das erstrebte Ziel.
Auch ältere Arbeitnehmer streben nach mehr Sinnhaftigkeit
Die soziale Anerkennung und die Werte von Commitment, Involvement und Engagement kamen in den 1980er Jahren hinzu, bevor ab der Jahrtausendwende die Alte Welt die Sinnhaftigkeit in den Job brachte. Laut einer Studie betrachten 85 Prozent der Studenten global die Arbeit als einen Teil ihrer Persönlichkeit und damit ihrer Identität. Das hat auch mit der Vermischung von Privat- und Berufsleben zu tun, die durch die Digitalisierung vorangetrieben wird. Alain Sutter, Ex-Profifußballer und Fußballkommentator stellt fest: „Wir haben heute erstmals den Luxus, dass wir uns über den Sinn der Arbeit Gedanken machen können.“
Laut Arbeitspsychologe Theo Wehner wären 60 bis 80 Prozent der Angestellten bereit, für eine sinnvollere Arbeit ihren Status einzubüßen. Es sind aber nicht nur die Vertreter der Generationen Y und Z, die nach mehr Sinnhaftigkeit im Berufsleben streben. Auch ältere Arbeitnehmer werden zunehmend in die Standortbestimmung getrieben. Jutta Rump erklärt: „Die realisieren langsam, dass sie in der Mitte des Lebens schon am Limit laufen, aber durch die längere Lebensarbeitszeit noch eine lange Zeit im Job vor sich haben.“ Quelle: Bilanz. Das Schweizer Wirtschaftsmagazin
Von Hans Klumbies