Konrad Paul Liessmann macht sich nichts vor: „Ist von Verantwortung die Rede, lauert im Hintergrund schon die Lüge.“ Ein Beispiel? „Verantwortung kennt keine Grenzen.“ Mit diesem Slogan bewarb der VW-Konzern vor dem Abgasskandal seine angeblich führende Rolle in Sachen „Corporate Social Responsibility“. Noch kurz vor seinem Rücktritt konnte der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn verkünden: „Mit dem Wachstums des Konzerns wächst auch seine Verantwortung – für sichere und gute Arbeitsplätze, für die Ausbildung und die Chancen der jungen Generation, für Bildung, Wissenschaft und Kultur, für eine Gesellschaft, in der jeder Mensch seine Talente entfalten kann, und vor allem auch: für eine intakte Umwelt.“ Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.
Die Verantwortung ist niemals grenzenlos
Hier hatte sich wohl jemand mit seinem Anspruch auf grenzenlose Verantwortung übernommen. Während mit großer Geste die Verantwortung für nahezu alles übernommen wurde, reichte es in der Realität nicht einmal dazu, Motoren zu bauen, die den gesetzlichen Vorschriften genügen. Aber was heißt Verantwortung, und kann diese wirklich grenzenlos sein? Im Begriff der Verantwortung steckt die Antwort. Und jede Antwort impliziert eine Frage.
Konrad Paul Liessmann erläutert: „Sich verantworten bedeutet in einem ganz ursprünglichen Sinn, auf eine gestellte Frage antworten zu können, oder schärfer: antworten zu müssen. Wo, aus welchen Gründen auch immer, keine Frage gestellt werden kann oder gestellt werden darf, gibt es keine Verantwortung.“ Verantwortlich ist jemand in Bezug auf eine Sache gegenüber einem anderen. Verantwortung ergibt sich, wenn jemand für etwas zuständig ist und darüber Rede und Antwort stehen muss. Verantwortung kann also gar nicht anders als in Grenzen erfolgen.
Ohne Macht funktioniert die Verantwortung nicht
Bei der Verantwortung muss klar sein, wer für was zuständig ist und welche Instanz das Recht und die Möglichkeit hat, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Von dem spätantiken Stoiker Epiktet stammt der Satz: „Das eine steht in unserer Macht, das andere nicht.“ Nur dort, wo etwas in der Macht eines Menschen steht, ergibt die Rede von der Verantwortung Sinn, nur dort, wo andere Menschen der eigenen Macht unterworfen sind, erwächst aus dieser Macht auch Verantwortung für diese Menschen.
Die Verantwortung dort zu beanspruchen oder dorthin zu delegieren, wo keine Macht ist, ist fahrlässig. Wer aber für andere großzügig die Verantwortung übernimmt, spricht diesen ab, für sich selbst die Verantwortung übernehmen zu können. Nur wer der Auffassung ist, dass jemand prinzipiell nicht für sich selbst verantwortlich ist, kann diese Verantwortung für ihn übernehmen oder auf andere Instanzen abwälzen. Das mag bei Unmündigen bis zu einem gewissen Grad notwendig sein – unter Erwachsenen bedeutet dies, ihre Unmündigkeit ohne Not fortzuschreiben. Quelle: „Bildung als Provokation“ von Konrad Paul Liessmann
Von Hans Klumbies