Es gibt nicht nur eine Wahrheit

Eine Definition der Wahrheit ist, dass sie die möglichst hohe Übereinstimmung einer Information über einen Sachverhalt mit der Wirklichkeit, also der objektiven Realität, beschreibt. Leider begegnet der Mensch in seinem Alltag nicht nur Wahrheiten. Sondern er trifft auf eine Vielzahl von Informationen unterschiedlicher Qualität. Der Verstand des Empfängers nimmt dieses Sammelsurium von Informationen auf und bewertet sie hinsichtlich Relevanz und Wahrheitsgehalt. Ille C. Gebeshuber ergänzt: „Und hier spielt das Glauben an den Wert der Information beziehungsweise an deren Quelle eine wichtige Rolle. Die subjektive Wahrheit und somit unser ganzes Wissen ergibt sich aus Informationen, an die wir glauben.“ Die Tugend der Ehrlichkeit verliert hier an Wert, denn meist stehen die Vermittler von Informationen in einer Vertrauenskette. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.

Manchmal drängen sich Fehlinterpretationen auf

Die individuelle Aufrichtigkeit wird somit zu einem sekundären Faktor. Schlimmer noch, die Schöpfer von falscher beziehungsweise fehlleitender Information müssen nicht zwingend böswillig sein. Oft geht auch der eigentliche Kontext der ursprünglichen Information verloren und Fehlinterpretationen drängen sich auf. Aber viele Menschen sind vorsichtig. Nur wenn sie Informationen für sinnvoll halten, bauen sie diese in ihr Wissen ein und vernetzen sie. Das Fürwahrhalten von Informationen ist bei den Menschen sehr unterschiedlich ausgeprägt.

Es hängt von der eigenen Wissensbasis ab, die von den eigenen Neigungen und vielen gesellschaftlichen Einflussfaktoren beeinflusst wurde. Ille C. Gebeshuber erklärt: „Die Millionen von Wahrheitsbewertungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens vornimmt, formen die Blöcke beziehungsweise Grundüberzeugungen, auf denen seine Sicht auf die Welt und seine Einstellung zu deren Abläufen und Ereignissen beruht.“ Die Blöcke zementieren sich mit zunehmendem Alter und sind kurzfristig nur schwer zu verändern.

Kinder experimentieren mit Wahrheit und Wirklichkeit

Langfristig hingegen können Umwertungen aber durchaus erfolgen. Diesen Prozess nennt man Beeinflussung. Er kann positiv im Sinne von Schulung erfolgen oder negativ im Sinne der Manipulation. Schon durch das früh von den Autoritäten Schule und Familien vermittelte Wissen entsteht ein grundlegendes Weltbild. Und schon in den jungen Jahren zeigt sich, dass die menschliche Intelligenz nicht nur im Verarbeiten der Informationen und im gezielten Vergessen zu Hause ist.

Ille C. Gebeshuber weiß: „Dem Selektieren von Informationen wird große Bedeutung beigemessen. Schon Kinder experimentieren mit Lüge. Und Märchenwelten werden mit tausenderlei Kreaturen bevölkert, von denen sie wissen, dass sie nicht real sein können.“ Kinderspiele sind erstaunlich grausam, und doch setzten sie sich nicht im Alltag fort. Kinder experimentieren sehr bewusst mit Wahrheit und Wirklichkeit. So wird eine wirkungsvolle Schranke gegenüber der Aufnahme von falschen Informationen und somit eine Absicherung der eigenen Realität aufgebaut. Quelle: „Eine kurze Geschichte der Zukunft“ von Ille C. Gebeshuber

Von Hans Klumbies