Es gibt durchaus nicht wenige Kosmopoliten

Thea Dorn behauptet, dass „Heimat“ nur ein anderes Wort für „kulturelle Identität“ ist. Im Anschluss an Norbert Elias spricht Thea Dorn von der „Wir-Schicht“, ohne die kein individuelles Projekt der Identität gelingen kann. Thea Dorn bringt noch eine zweite Begrifflichkeit ins Spiel, die der Soziologe geprägt hat, um die „Gesellschaft der Individuen“ und ihre Probleme zu analysieren. Und zwar spricht Norbert Elias vom „Wir-schwachen Ich“ als einem typischen Phänomen in offenen pluralen Gesellschaften im Gegensatz zum „Ich-schwachen Wir“, das alle traditionalistischen, kollektivistischen oder gar totalitären Gemeinwesen kennzeichnet. Thea Dorn hält diese Gegenüberstellung für äußerst wichtig. Außerdem vermutet sie, dass es nicht wenige gib, die sich durchaus als Kosmopoliten verstehen. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

Georg Büchner stand seinem Vaterland kritisch gegenüber

Sie finden sich in der Formel wieder, die der deutsche Philosoph Bernhard Waldenfels für das kosmopolitische Lebensgefühl gefunden hat. Sie lautet: „Bei sich zu Hause in der Welt und in der Welt bei sich zu Hause sein.“ Ebenso vermutet Thea Dorn, dass viele die Diagnose von Norbert Elias, der Kosmopolit laufe Gefahr, einzig ein „Wir-schwaches Ich“ auszubilden, empört von sich weisen. Zudem macht Thea Dorn dem Kosmopoliten mitnichten den Vorwurf, er sei notwendigerweise ein Egoist.

Georg Büchner, der Autor von „Dantons Tod“, der den Hütten Frieden wünschte und zum „Krieg den Palästen“ aufrief, stand seinem Vaterland ohne Zweifel kritisch gegenüber. Gleichwohl wusste er, dass er in der deutschen Sprache zu Hause war, wusste er um seine kulturellen Wurzeln. Andernfalls hätte er niemals solch existenziell tiefe uns sprachvirtuose Dramen schreiben können. Rainer Werner Fassbinder galt den Deutschen lange Zeit als Enfant terrible.

Rainer Werner Fassbinder seziert die frühe Bundesrepublik mit der Kamera

So wie Georg Büchner in „Leonce und Lena“ unbarmherzig den Aberwitz der spätfeudalen Klein- und Kleinststaaterei seziert hatte, legte Rainer Werner Fassbinder in seiner großen Nachkriegs-Trilogie – „Die Ehe der Maria Braun“, „Lola“, „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ – die frühe Bundesrepublik unter die Lupe der Filmkamera. Gewiss war sein Schaffen von Künstlern wie dem Amerikaner John Huston oder dem französisch-schweizerischen Nouvelle-Vague-Pionier Jean-Luc Godard beeinflusst.

Doch sein wichtigstes Vorbild war und blieb Douglas Sirk, der 1897 in Hamburg als Hans Detlef Sierck geboren wurde und für die Ufa mehrere Melodramen mit Zarah Leander drehte, bevor ihn die Nazis zur Flucht nach Hollywood zwangen. Was wäre Rainer Werner Fassbinders Werk ohne seine Verfilmungen solch urdeutscher Romane wie Fontanes „Effi Briest“ oder Döblins „Berlin Alexanderplatz“? Selbst eine Ikone des postmodernen Kinos wie Kulturregisseur Quentin Tarantino kann den kreativen Kraftakt, all die disparaten „Fetzen“ zu einem Gesamtkunstwerk zusammenzufügen, nur deshalb leisten, weil er sein amerikanisches Erbe von der Sklaverei bis zur Country- und Rockabilly-Musik verdammt genau kennt. Quelle: „deutsch, nicht dumpf“ von Thea Dorn

Von Hans Klumbies