Manche Menschen gieren förmlich nach Aufmerksamkeit

Das Bedürfnis wahrgenommen zu werden, kann einen Menschen weit bringen. Babys zum Beispiel schreien sich fast die Lunge aus dem Hals, nur damit Mutter oder Vater zu ihrem Bettchen treten. Georg Milzner nennt ein anderes Beispiel: „Wer in der Schulklasse übergangen wird und keine herausragende Begabung hat, mit der sich Eindruck schinden lässt, der wird vielleicht zum Klassenclown, weil Gelächter immer noch besser ist, als ignoriert zu werden.“ In der Pubertät dann stellen manche schon etwas an, nur um sicherzustellen, dass sie auch etwas abkriegen von jener Aufmerksamkeit, die viele Menschen scheinbar so dringend brauchen. Manche von ihnen gieren förmlich nach Aufmerksamkeit. Schon als Jugendliche stellen sie durch ironische Bemerkungen sicher, dass sie wahrgenommen werden. Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

Bei YouTube entsteht ein medialer Darwinismus

Betrachtet man das mediale Feld und die allgemeine Tendenz zur Selbstdarstellung etwa bei YouTube, so findet man Leute, die ihre Krankheiten darstellen, neben anderen, die dreiste Streiche posten; Ratgeber finden sich neben Kunst, Gamer-Videos neben Schminktipps oder Survival-Unterweisungen. Möglicherweise entsteht hier ein medialer Darwinismus, bei dem nur der am besten Angepasste eine Chance hat, die ersehnte Aufmerksamkeit zu bekommen.

Die Selbstaufwertung bis hin zur Prahlerei ist vor allem eine Methode, um sich selbst Bedeutung und damit potenziell Aufmerksamkeit zu sichern. Der Amerikanist Mark Greif erklärt in einem Aufsatz, „dass es bei Schönheitswettbewerben längst nicht mehr um Schönheit geht“. Es geht, so Mark Greif, darum, wie weit Menschen zu gehen bereit sind. Was sie mit sich machen lassen. Und was sie dafür bezahlen, sich öffentlich zeigen zu können. Es hat bei aller Ironie, doch etwas immens Tragisches, wenn Menschen sich einer Maschinerie unterzuordnen bereit sind, bloß um gesehen – um angesehen zu werden.

Vier Faktoren begünstigen den Narzissmus

Das Phänomen, mit dem man es hier zu tun hat, heißt Narzissmus. Üblicherweise verbindet man den Narzissmus mit Selbstverliebtheit oder mit Eitelkeit. Allerdings ist Narzissmus ein schillernder Begriff. Georg Milzner erläutert: „Dass die bunte Bilderwelt, in der wir leben, diese Welt der Selbstdarstellungen narzisstische Züge hat, ist unübersehbar.“ Die Psychologin Jean Twenge, die an der San Diego State University lehrt, geht von vier Faktoren aus, die das Zustandekommen des Narzissmus begünstigen.

Zum einen die moderne Haltung des Gewährenlassens und übermäßigen Lobens gegenüber Kindern. Sodann der Umstand, dass Stars und Promis viel Aufmerksamkeit bündeln. Zu diesen beiden Faktoren kommt nach Jean Twenge die Möglichkeit hinzu, sich Wünsche unverhältnismäßig leicht erfüllen zu können, da beispielsweise Kreditkarten suggerieren, dass unbeschränkter Konsum möglich sei. Und endlich sei da das Internet, das dem Einzelnen zu permanenter Selbstdarstellung verhelfe. Quelle: „Wir sind überall, nur nicht bei uns“ von Georg Milzner

Von Hans Klumbies