Die Energie der Schönheit operiert wie ein Fangstrahl

Stagnation und Unbeweglichkeit führen zu größerer Erschöpfung als jede Suche. Nicht das Loslassen, sondern das Festhalten bindet alle Kräfte. In einer sich verändernden Welt auf der Stelle zu stehen, jede Bewegung zu verhindern, bedeutet unterzugehen. Frank Berzbach erklärt: „Gewohnheiten und Zerstreuung lassen uns stagnieren, man bleibt beim Althergebrachten, isst, was seine Eltern essen, richtet sich nach anderen, will nicht im Weg herumstehen und genügt sich darin.“ Statt noch gar nicht zu wissen, wer man werden kann, glaubt man zu wissen, wer man ist. Die Energie der Schönheit operiert wie ein Fangstrahl. Aber wenn die Schutzschilde der Unbeweglichkeit sie abblocken, schneidet sich der Betroffen ab von den erneuerbaren Ressourcen der Attraktivität. Dr. Frank Berzbach unterrichtet Psychologie an der ecosign Akademie für Gestaltung und Kulturpädagogik an der Technischen Hochschule Köln.

Jedes Güte ausdrückende Gesicht ist schön

Frank Berzbach stellt fest: „Wir werden nicht mehr angezogen und wirken auch nicht anziehend. Allein das erzeugt Ängste – und wer sich die nicht eingesteht, wird wütend. Es ist der Weg in die Formlosigkeit.“ Wem es an Schönheit mangelt, sie nicht einmal mehr wahrnimmt, der wird unzufrieden. Es ist die Wut über das Unabänderliche, das die Gesichtszüge verzerrt. „Wenn jedes hasserfüllte Gesicht hässlich ist, ist jedes Güte ausdrückende Gesicht schön“, schreibt der Kalligraf und Philosoph François Cheng.

Jede Güte und jede Schönheit ist aber beweglich. Schönheit ist für Frank Berzbach eine Aktivität. Und die kann durchaus körperlich sein. Die Weisheitslehren Ostasiens, die Schulen des mystischen Christentums und auch einige Philosophen sehen eine Spur darin, die abstrakten Ideen, die das menschliche Gehirn gerne entwirft, durch ganz konkrete Fragen zu ersetzen. „Die Idee will das Unbegrenzte, Form und damit Kunst ist aber per definitionem Begrenzung“, schreibt der französische Philosoph Jean-François Lyotard.

Die Schönheit soll zur Quelle der Lebenskunst werden

Ein Ausschnitt reicht, es muss kleiner gehen, hin zu der Einsicht, dass eigentlich nur Details existieren und die Menschen mit ihnen niemals an ein Ende kommen. Statt über den Sinn des Lebens oder das Wesen der Liebe zu grübeln, könnten die Menschen sich fragen, wie ihr alltägliches Leben aussieht. Der Alltag enthält laut Frank Berzbach nicht nur Begriffe, sondern auch Greifbares. Ihr täglicher Umgang, ihre Ernährung, ihre Kleidung und ihr Konsum hinterlassen Spuren.

So begegnen oder bestenfalls prägen die Menschen jeden Moment irgendeine Form der Schönheit. Damit steht am Anfang des Weges die Einsicht, dass die Schönheit, wenn sie zur Quelle der Lebenskunst werden soll, einer Aktivität bedarf. Selbst wenn sich einfach nur vor einem liegt, ist die Fähigkeit, sie überhaupt zu sehen, nichts Passives. Denn die menschlichen Sinne sind permanent damit beschäftigt zu arbeiten. Zu den Sinnen zählen das Hören, das Sehen, das Schmecken, das Tasten und das Riechen. Aber auch alle subtileren Formen der Witterung und Intuition. Quelle: „Die Form der Schönheit“ von Frank Berzbach

Von Hans Klumbies