Die Metamorphose wirkt im Unterbewusstsein

Bei einer Metamorphose gründet die Kraft, die einen Menschen durchdringt und verändert, nicht auf einem bewussten und persönlichen Willensakt. Emanuele Coccia erklärt: „Sie kommt anderswoher, ist älter als der Körper, den sie formt, und wirkt jenseits aller Entscheidung. Vor allem aber ist sie frei von dem Impuls, die Vergangenheit oder die Identität zu verdrängen oder zu negieren.“ Ein metamorphisches Wesen hat, im Gegenteil, alle Ambition abgelegt, sich in einem einzigen Gesicht wiedererkennen zu wollen. Das Leben, das durch die Raupe und den Schmetterling hindurchgeht, kann auf keines der beiden heruntergebrochen werden. Es kann mehrere Gestalten gleichzeitig bewohnen und beherbergen und schöpft aus dieser amphibischen Eigenschaft seine Kraft. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

Eine Revolution verändert die Welt

Das zweite Modell, das der Revolution, ist bekannter und verbreiteter. Hier ist es die Welt, die sich verändert. Das Subjekt als Verursacher und Garant des Übergangs von einer Welt zu einer anderen kann sich nicht verändern. Denn es kann als Einziges den sich vollziehenden Wandel bezeugen. Die Revolution ist die beliebteste Form der Veränderung der modernen Technik und Politik. Beide scheinen ihre Weltbeziehung ausschließlich unter den Vorzeichen einer radikalen Weltveränderung denken zu können.

Die Technik ist der Inbegriff der Veränderung, die das Subjekt nicht berühren kann und soll. Emanuele Coccia erläutert: „Ein technisches Instrument darf sich selbst unter keinen Umständen verändern, wenn es das berührte Objekt verändert. Mehr noch, seine Effizienz bemisst sich an der Widerstandsfähigkeit gegen Veränderung.“ Darum ist jede Technik mehr eine Praxis zum Ruhme des Technikers, des Subjekts dieser Praxis, als ein echter Vorgang zur Verbesserung des Objekts, auf das sie angewandt wird.

In der Politik existiert viel Narzissmus

Dasselbe lässt sich für die Politik sagen, welche die Revolution zu ihrem Horizont und Hauptziel macht. Denn in dem revolutionären Traum von einer Welt, die allein durch einen klar definierten Willensakt konstituiert würde, gibt es nur wenig Liebe für die Materie und die Welt. Zudem gibt existiert kaum Interesse für Veränderung, dafür aber viel Narzissmus und viele Versuche, die Realität in eine Selbstbespiegelungsfläche zu verwandeln. Insofern ist die Revolution viel näher an der Konversion, als man sich das vorstellen mag.

In beiden Fällen schaut das Subjekt auf die eigene Macht. Emanuele Coccia betont: „Die Revolution ist ebenso weit von der Metamorphose entfernt wie die Konversion.“ Seit mehr als zweihundert Jahren begreift man Technik als Projektion eines anatomischen Organs in einem doppelten Sinne. Zum einen sehen wir das technische Objekt als die körperexterne Reproduktion der Form einzelner Organe, aus denen der menschliche Körper sich zusammensetzt. Zum anderen reproduziert für die Menschen jedes technische Objekt das Subjekt und seinen Willen außerhalb von dessen Körper. Quelle: „Metamorphosen“ von Emanuele Coccia

Von Hans Klumbies