Dinge stabilisieren das menschliche Leben

Die terrane Ordnung, die Ordnung der Erde, besteht aus Dingen. Diese nehmen eine dauerhafte Form an und bilden eine stabile Umgebung für das Wohnen. Sie sind jene „Weltdinge“ im Sinne von Hannah Arendt, denen die Aufgabe zukommt, „menschliches Leben zu stabilisieren“. Byung-Chul Han stellt fest: „Sie geben ihm einen Halt. Die terrane Ordnung wird heute durch die digitale Ordnung abgelöst. Die digitale Ordnung entdinglicht die Welt, indem sie sie informatisiert.“ Schon vor Jahrzehnten bemerkte der Medientheoretiker Vilém Flusser: „Undingen dringen gegenwärtig von allen Seiten in unsere Umwelt, und sie verdrängen die Dinge. Man nennt diese Undinge Informationen.“ Die Menschen befinden sich heute im Übergang vom Zeitalter der Dinge zum Zeitalter der Undinge. Byung-Chul Han ist ein koreanisch-deutscher Philosoph, Kulturwissenschaftler und Autor. Seine Bücher wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

Heute bestimmen Informationen die Lebenswelt

Nicht Dinge, sondern Informationen bestimmen heutzutage die Lebenswelt. Die Menschen bewohnen nicht mehr Erde und Himmel, sondern Google Earth und Cloud. Die Welt wird zusehends unfassbarer, wolkiger und gespenstiger. Nichts ist mehr hand- und dingfest. Die Dinge dagegen stabilisieren insofern menschliches Leben, als sie ihm eine Kontinuität verleihen. Diese leitet sich daraus her, dass der gleiche Stuhl und der gleiche Tisch den jeden Tag veränderten Menschen mit gleichbleibender Vertrautheit entgegenstehen.

Byung-Chul Han betont: „Dinge sind Ruhepole des Lebens.“ Sie sind allerdings heute gänzlich von Informationen überlagert. Und Informationen sind alles andere als Ruhepole des Lebens. Es ist nicht möglich, bei Informationen zu verweilen. Sie haben eine sehr schmale Aktualitätsspanne. Sie leben vom Reiz der Überraschung. Schon aufgrund ihrer Flüchtigkeit destabilisieren sie das Leben. Die Aufmerksamkeit der Menschen wird heute von ihnen permanent in Anspruch genommen.

Es herrscht eine Gleichgültigkeit gegenüber den Dingen

Der Tsunami der Information versetzt das kognitive System selbst in Unruhe. Informationen sind keine stabile Einheit, denn ihnen fehlt die Festigkeit des Seins. Niklas Luhmann charakterisiert die Information wie folgt: „Ihre Kosmologie ist eine Kosmologie nicht des Seins, sondern der Kontingenz.“ Die Dinge rücken heuten immer mehr in den Hintergrund der Aufmerksamkeit. Die gegenwärtige Hyperinflation der Dinge führt gerade zu deren explosiven Vermehrung. Dies deutet gerade auf die zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber den Dingen hin.

Byung-Chul Han erklärt: „Unsere Obsession gilt nicht mehr den Dingen, sondern Informationen und Daten. Wir produzieren und konsumieren inzwischen mehr Informationen als Dinge. Wir berauschen uns regelrecht an Kommunikation.“ Libidinöse Energien wenden sich von den Dingen ab und besetzen Undinge. Informanie ist die Folge. Die Menschen sind inzwischen alle infoman. Vorbei ist es wohl mit dem Dingfetischismus. Die Informations- und Datenfetischisten haben die Herrschaft übernommen. Quelle: „Undinge“ von Byung-Chul Han

Von Hans Klumbies