Manchmal entsprechen die eigenen Vorstellungen nicht der Realität

Es kommt vor, dass Dinge den Vorstellungen nicht entsprechen, die Menschen sich von ihnen machen. Eine davon abweichende Realität zu akzeptieren, kann schwerfallen, auch wenn sie nicht zu leugnen ist. Wilhelm Schmid nennt ein Beispiel: „Im Privaten kann beispielsweise ein Ärger, der gemäß der Vorstellung von einer harmonischen Beziehung nicht vorkommen sollte, aus diesem Grund auch nicht bewältigt werden.“ Den verengten Blick etwas zu erweitern, sodass mehr Realität darin Platz hat, könnte Beziehungen alltagstauglicher machen. Schließlich ist eine Verengung möglich, weil Dinge den eigenen Interessen nicht entsprechen. Zwar liegt es nahe, den täglichen Strom von Informationen zügig nach dem Prinzip zu kanalisieren: „Das geht mich etwas an, jenes nicht.“ Beziehungen jeder Art sind jedoch darauf angewiesen, Informationen über die Interessen anderer an sich herankommen zu lassen. Wilhelm Schmid lebt als freier Philosoph in Berlin.

In einer unübersichtlichen Welt ist das Zuhause sicher

Wilhelm Schmid erläutert: „Heimat ist die Ich-Perspektive, mit der die Welt geordnet werden kann. Das gehört zu den Vorteilen einer Perspektive: In ihr bin ich daheim, aus ihr ergibt sich der Horizont, in dem ich mein Leben einrichten kann.“ Sie ist ein sicheres, überschaubares Zuhause in einer ungewissen, unübersichtlichen Welt. Von diesem Punkt aus, der einem bedeutsam erscheint, da die eigene Existenz daran gebunden ist, kann man alles betrachten und einschätzen.

Durch die Verengung des Gesichtsfeldes auf wenige Dinge werden mehr Details sichtbar, ein lupenartiger Effekt. Innerhalb dieses Ausschnitts der Wirklichkeit wächst die Vertrautheit mit Dingen und Verhältnissen, die in der Folge an Bedeutung gewinnen oder verlieren. Wilhelm Schmid erklärt: „Die Selbstverständlichkeit des Umgangs damit vergrößert sich, das Leben gewinnt an Einfachheit. Daher kann es so befremdlich und sogar bedrohlich sein, wenn Andere etwas ganz Anderes sehen.“

Eine zu enge Perspektive kann sich zu einem Gefängnis verwandeln

Die Tatsache, eine Perspektive zu haben, ist Menschen allerdings oft nicht bewusst. Ohne es zu ahnen, leben sie in Paralleluniversen. Aus subjektiver Sicht handelt es sich jeweils um die einzig mögliche und richtige Wahrnehmung dieser Sache. Nämlich des Lebens, der Beziehung, der Arbeitswelt, der Welt überhaupt. Wilhelm Schmid stellt fest: „Daraus resultieren Nachteile. Je enger die Perspektive wird, desto eher kann die Heimat, die sie verbürgt, zum Gefängnis werden.“

Jeder weitere Horizont geht verloren. Alles, was über die vertraute Welt hinausgeht, erscheint beunruhigend und beängstigend. Wilhelm Schmid betont: „Um der Enge einer einzigen, immer unvollständigen Perspektive zu entgehen und den Horizont zu erweitern, käme es darauf an, sich für die eigene Perspektive zu interessieren und sie zu überdenken.“ Ist es möglich, sich von ihr zumindest zeitweise zu lösen, kommt ein erweiterter Blick zustande. Dieser bewahrt das Ich von der Gefahr, unbedacht in eine Sackgasse zu geraten. Quelle: „Heimat finden“ von Wilhelm Schmid

Von Hans Klumbies