Komplexe Dinge sind vielschichtig

Der Alltag kann kompliziert sein. Das wissen fast alle Menschen. Die Beziehung. Die Bedienung des neuen Telefons. Die Steuererklärung. Im Englischen spricht man von „a lot of moving parts“. Dirk Brockmann erläutert: „Wenn also verschiedene Teile gleichzeitig in Bewegung sind, voneinander abhängen, Einfluss aufeinander üben und man schnell den Überblick verliert, dann ist etwas kompliziert.“ Aber sind komplizierte Dinge auch komplex? Und umgekehrt komplexe Systeme zwangsläufig kompliziert? Das Wörterbuch leitet „komplex“ aus dem Lateinischen ab: cum = miteinander, plectere = flechten. Es bedeutet also „verflochten, vielschichtig“. Ein komplexes System besteht aus verschiedenen Elementen, die miteinander verbunden sind. Und sie bilden wie Flechtwerk eine Struktur, die man in den Einzelelementen nicht erkennen kann. Der Komplexitätswissenschaftler Dirk Brockmann ist Professor am Institut für Biologie der Berliner Humboldt-Universität.

Kompliziert ist subjektiv

„Komplex“ bezieht sich auf die innere Struktur eines Systems oder eines Phänomens, ist also ein objektives Kriterium. Während „kompliziert“ sich immer auf die Auffassungsgabe der Betrachtenden bezieht. „Kompliziert“ ist subjektiv. Phänomene können außerordentlich komplex, aber unkompliziert sein. Am besten versteht man komplexe Systeme, wenn man sich zunächst – aber nur ganz kurz – mit Dingen beschäftigt, die nicht komplex sind. Als Beispiel nennt Dirk Brockmann das einfache Pendel einer Wanduhr.

Das Uhrpendel ist nicht komplex. Es bewegt sich gleichmäßig, ist berechenbar, vorhersagbar, etwas langweilig, und kompliziert ist es schon gar nicht. Einfache Pendel werden bei der Hypnose eingesetzt, damit sich das Bewusstsein quasi freiwillig und aus Langeweile abmeldet. Ganz ähnlich, und mathematisch nicht unverwandt, ist die Bewegung der Erde um die Sonne. Jedes Jahr zieht die Erde näherungsweise eine Kreisbahn um die Sonne, die Bewegung wiederholt sich alle 365,25 Tage. Ganz einfach, immer im Kreis.

Das Doppelpendel zählt zu den komplexen Systemen

Gibt man dem Pendel allerdings ein zweites Gelenk, sieht die Sache ganz anders aus. Aus dem simplen Pendel ist ein komplexes Doppelpendel geworden. Die Bewegungen des Doppelpendels sind reichhaltig an Struktur und Schönheit, obwohl der Unterschied zum einfachen Pendel nur ein weiteres Gelenk ist. Dirk Brokmann ergänzt: „Es bewegt sich scheinbar völlig unvorhersagbar, mal überschlägt es sich, mal nicht, die Bewegung scheint zufällig.“ Das Doppelpendel repräsentiert eine Klasse von komplexen Systemen.

Diese weisen unerwartet komplizierte Strukturen, Eigenschaften oder Dynamik auf, obwohl ihnen ganz einfache Regeln zugrunde liegen. Man könnte ja erwarten, dass für kompliziertes Verhalten auch komplizierte Mechanismen notwendig sind. Dirk Brockmann erklärt: „Das Doppelpendel zeigt ein Verhalten, das sich deterministisches Chaos nennt.“ Chaotische Systeme wie das Doppelpendel folgen genauen mathematischen Gesetzmäßigkeiten. Diese müssten es eigentlich erlauben, aus der Kenntnis des Zustands des Systems in der Gegenwart jeden Zustand in der Zukunft zu berechnen. Quelle: „Im Wald vor lauter Bäumen“ von Dirk Brockmann

Von Hans Klumbies