Diskriminierung erfreut sich gegenwärtig großer Beliebtheit

Der Begriff der Diskriminierung erfreut sich gegenwärtig großer Beliebtheit und breiter Anwendung. Alexander Somek erläutert: „Das mag daran liegen, dass eine gesellschaftliche Benachteiligung, insofern es sich nicht um eine Wettbewerbsverzerrung handelt, sich als Diskriminierung darstellen lassen muss, um überhaupt normativ relevant zu sein.“ Wer nicht glaubhaft machen kann, diskriminiert worden zu sein, der gilt als wirklich weniger qualifiziert als die anderen oder bestenfalls als glückslos. Die betreffende Person hat dann entweder ihren Nachteil verdient oder schlicht Pech gehabt. Von einem Vorteil, den andere genießen, ungerechtfertigt ausgeschlossen zu sein, kann auf direkter oder indirekter Diskriminierung beruhen. Im ersten Fall misst man einem Merkmal Relevanz zu, obwohl es eigentlich irrelevant ist. Alexander Somek ist seit 2015 Professor für Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

Strukturelle Diskriminierung ist nichts Mysteriöses

Im zweiten Fall wird auf ein zwar sachliches, aber im Kontext unangemessenes Merkmal abgestellt, das in seiner Anwendung zum überproportionalen Ausschluss von Angehörigen einer bestimmten Gruppe resultiert. Alexander Somek erklärt: „Während die direkte oder indirekte Diskriminierung in der Gedankenwelt des Rechts fest verwurzelt sind, ist die strukturelle Diskriminierung dies nicht.“ Sie ist dies vor allem deshalb nicht, wie ihre Bekämpfung nicht so leicht an einen spezifischen Anspruchsgegner geknüpft ist.

Dennoch ist die strukturelle Diskriminierung nichts Mysteriöses. Mit diesem Begriff lassen sich einige historisch bekannte Situationen verbinden. Selbst wenn Frauen im Kontext von Studium und Beruf nicht benachteiligt gewesen wären, trifft es zu, dass sie durch die geschlechtsspezifische Teilung der sozialen Arbeit strukturell benachteiligt gewesen sind. Von ihnen wurde – und wird – die Übernahme der Hausarbeit und die Aufzucht des Nachwuchses erwartet. Auf eine Karriere mussten sie nolens volens verzichten. Dies war dem durch Rollenbilder und sozial eingeübte Verhaltenserwartungen – also durch Strukturen – geschaffenen Kontext geschuldet.

Frauen sind strukturell diskriminiert

Dieser ließ es Frauen klug erscheinen, eine berufliche Laufbahn erst gar nicht zu erwägen und der sie dazu bewog, sich aus eigenen Stücken gegen eine solche zu entscheiden. Alexander Somek stellt fest: „Der freiwillige Verzicht von Frauen auf eine Karriere war der systemische Effekt von normativen Strukturen. Frauen waren – und sind es schichtspezifisch heute noch – strukturell diskriminiert. Die strukturelle Diskriminierung ist ein weit verbreitetes Phänomen.

Sie lässt sich auch dort verorten, wo keine Gruppe im Spiel ist, die notorisch sozial benachteiligt ist. Diejenigen, die Produkte für den Weltmarkt produzieren, sind gegenüber denen benachteiligt, die bloß eine nationale Nachfrage bedienen. Denn sie müssen die Eigenschaften ihrer Produkte an unterschiedliche nationale Produktstandards anpassen. Alexander Somek weiß: „Das verursacht zusätzlichen Aufwand. Dass eine solche Benachteiligung auftreten kann, ist ein systemischer Effekt der Koexistenz von politisch unabhängigen Staaten.“ Quelle: „Moral als Bosheit“ von Alexander Somek

Von Hans Klumbies