Langsames Glück ist wertvoll und wenig störanfällig

Zu den faszinierendsten Phänomenen menschlichen Lebens zählt das Glück. Viele Glücksvarianten sind leicht zu identifizieren. Sie machen sofort gute Laune. Rebekka Reinhard nennt Beispiele: „Für ein Baby kann es die Muttermilch sein, für einen Teenager das Verliebtsein, für kranke Menschen das Blutbild im Normalbereich.“ Leider wird das subjektive „reine“ Gute-Laune-Glück leicht verunreinigt. Denn jedes Glück, das sofort gute Laune macht, ist „schnelles Glück“. Es kommt schnell, ist aber auch schnell wieder vorbei. Daneben existiert still und leise das „langsame Glück“. Langsames Glück ist unspektakulär, dafür aber wenig störanfällig. Wenn man seinen Wert erkennt, begleitet es einen Menschen in allem, was er tut, denkt und fühlt. Rebekka Reinhard ist Chefredakteurin des Magazins „human“ über Mensch und KI. Unter anderem ist sie bekannt durch den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg.

Langsames Glück ist multiresistent und kann nicht vergehen

Diese zweite Art von Glück unterscheidet sich drastisch von der ersten. Man „kriegt“ sie nicht einfach. Weder zufällig noch verdientermaßen. Langsames Glück verlangt lebenslanges Engagement von Hirn und Herz. Schnelles Glück will man haben, langsam glücklich wird man. Langsames Glück hält sich nicht an übliche Zeitraster. Rebekka Reinhard weiß: „Schnelles Glück ist von einer Endlosserie jäh einsetzender Auf und Abs durchsetzt. Es ist schrecklich empfindlich.“

Langsames Glück dagegen lässt sich durch nichts beeindrucken. Weder von guten noch von schlechten Nachrichten. Es folgt keinem simplen Ursache-Wirkung-System. Es hat keine Deadline. Langsames Glück ist multiresistent. Rebekka Reinhard erklärt: „Denn es existiert nicht nur in subjektiven Stimmungen und Gefühlen, es ist auch für andere greifbar. Früher oder später kommt es immer jemandem zugute. Deshalb kann es auch nicht vergehen.“ Es bleibt in der Welt, selbst wenn es für einen selbst – weil man gerade von guter oder schlechter Laune überrollt wird oder weil man stirbt – verschwindet.

Gute Taten lassen das langsame Glück wachsen

Rebekka Reinhard betont: „Im Unterschied zu schnellem Glück beruht langsames Glück auf einer ethischen Haltung. Jedes Mal, wenn Sie sich darin üben, gut zu sein, wenn Sie Tun und Tugend verbinden, werden sie unabhängiger vom schnellen Glück.“ Je öfter ein Mensch Gutes tut, desto mehr wächst das langsame Glück an. Desto weniger hat man das Gefühl, irgendetwas würde einem fehlen. Die Erkenntnis über die tiefe Verbindung zwischen Ethik und langsamen Glück ist uralt.

Sie zählt zum Grundbestand aller philosophischen und spirituellen Lehren, vom Hinduismus über Buddhismus, Kynismus und Stoizismus zur Kabbala. Rebekka Reinhard blickt zurück: „Aristoteles und die griechischen Philosophen hatten ein sehr melodisches Wort für das langsame Glück: eudaimonia.“ Dabei handelt es sich um ein Glück, das sich durch regelmäßig praktizierte Menschlichkeit ununterbrochen vermehrt und aus einer subjektiven Empfindung zugleich einen objektiv vorhandenen Wert in der Welt macht. Quelle: „Die Kunst gut zu sein“ von Rebekka Reinhard

Von Hans Klumbies