Die Philosophie umfasst das Ganze des Seins

Karl Jaspers vertritt die These, dass es in der Philosophie keine Einmütigkeit des endgültig Erkannten gibt. Selbst was die Philosophie ist und was sie wert ist, ist umstritten. Die einen erwarten von ihr außergewöhnliche Erkenntnisse, während die anderen sie gleichgültig als gegenstandsloses Denken negieren. Manche sehen sie mit Scheu als das Bemühen ungewöhnlicher Menschen, wieder andere verachten sie als überflüssiges Grübeln von Träumern. Auf der einen Seite wird sie als eine Sache betrachtet, die jeden angeht und daher im Grunde einfach und verstehbar sein müsse. Auf der anderen Seite wird sie als so schwierig angesehen, dass es hoffnungslos ist, sich mit ihr zu beschäftigen.

Philosophie muss für jeden Menschen zugänglich sein

Bei der Philosophie handelt es sich laut Karl Jaspers um das Ganze des Seins, das den Menschen als Menschen angeht, um Wahrheit, die, wo sie aufleuchtet, tiefer ergreift als jede wissenschaftliche Erkenntnis. Die Philosophie tritt vor aller Wissenschaft auf, wo Menschen wach werden. Im Umgang mit der Philosophie fordert Karl Jaspers, dass sie für jeden Menschen zugänglich und ihr Denken jederzeit ursprünglich sein muss.

Das heißt, jeder Mensch muss es selber vollziehen. Karl Jaspers ist der Ansicht, dass die Philosophie für den Menschen unumgänglich ist. Sie ist immer gegenwärtig: in überlieferten Sprichwörtern, in philosophischen Redewendungen, in politischen Glaubensanschauungen, vor allem aber vom Beginn der Geschichte an in Mythen. Der Mensch kann der Philosophie nicht entrinnen.

Ein Philosoph liebt die Erkenntnis

Das griechische Wort Philosoph heißt: der die Erkenntnis Liebende. Bis heute ist das Suchen der Wahrheit und nicht der Besitz derselbigen das Wesen der Philosophie. Philosophie heißt für Jaspers „auf dem Wege sein“. Die Fragen der Philosophie sind bedeutender als ihre Antworten, und jede Antwort gebiert eine neue Frage. Das Schicksal des Menschen liegt in der geschichtlichen Verwirklichung seines Menschseins, dem das Sein selbst aufgeht.

Diese Wirklichkeit in der Situation zu gewinnen, in der jeweils ein Mensch steht, ist der Sinn des Philosophierens. Jede Philosophie definiert sich laut Karl Jaspers durch ihre Verwirklichung. Was Philosophie ist, muss der Mensch versuchen. Der Vollzug des lebendigen Gedankens, der Reflexion darüber oder das Tun und das darüber reden werden eins. Nur aus dem eigenen Versuch kann der Mensch wahrnehmen, was ihm in der Welt als Philosophie begegnet.

Der Mensch findet durch die Philosophie zu sich selbst

Im Altertum war die Philosophie die Erkenntnis der göttlichen und menschlichen Dinge, das denkende Erstreben der Glückseligkeit, die Angleichung an das Göttliche sowie das Wissen allen Wissens, die Kunst aller Künste, die Wissenschaft überhaupt, die nicht auf ein einzelnes Gebiet gerichtet ist. Heute hat die Philosophie ihren Sinn darin, die Wirklichkeit im Ursprung zu erblicken, die Kommunikation von Mensch zu Mensch durch jeden Sinn von Wahrheit in liebendem Kampfe zu wagen sowie die Vernunft noch vor dem Fremdesten und vor dem Versagenden geduldig und unablässig wach zu erhalten.

Die Philosophie ist das Konzentrierende, wodurch der Mensch zu sich selbst findet, indem er der Wirklichkeit teilhaftig wird. Für Karl Jaspers steht fest, dass selbst die Vielfachheit des Philosophierens und die sich gegenseitig ausschließenden Wahrheitsansprüche nicht verhindern können, das im Grunde ein Eines wirkt, das niemand besitzt und um das jederzeit alle ernsten Bemühungen kreisen: die ewige eine Philosophie.

Kurzbiographie: Karl Jaspers

Karl Jaspers wurde 1883 in Oldenburg geboren. Er studierte zuerst Jura, dann Medizin und promovierte 1909 in Heidelberg. Während seiner Assistenzzeit an der Psychiatrischen Klinik habilitierte er sich für Psychologie. Ab 1916 war er für Psychologie, ab 1921 für Philosophie an der Universität Heidelberg.

Von 1937 bis 1945 war er von den Nazis seines Amtes enthoben. Von 1948 bis 1961 war er Professor für Philosophie in Basel, wo er 1969 starb. Karl Jaspers gilt als einer der Hauptvertreter der Existenzphilosophie. Sein schriftliches Werk umfasst über 30 Bände, die in mehr als 600 Übersetzungen vorliegen.

Von Hans Klumbies