Der englische Schriftsteller Bruce Chatwin war ein Getriebener, der von Kontinent zu Kontinent hetzte, als würde es für ihn kein Morgen mehr geben. Selbst kurz vor seinem frühen Tod konnte er die Ruhelosigkeit nicht abstreifen. Er hatte so viele Ideen, die er noch verwirklichen wollte. Zu einem Freund sagte er: „Alle glauben, dass ich wahnsinnig bin. Das stimmt nicht. Sie können nicht mithalten. Ich denke einfach zu schnell für sie.“ Bruce Chatwin verfügte über einen funkelnden Geist, einen unwiderstehlichen Charme und ein angeborenes Charisma. In nur acht Jahren stieg er bei Sotheby´s vom Botenjungen zum Direktor der Abteilung für Impressionismus auf.
Bruce Chatwin tanzte als Derwisch über die Erde
Bruce Chatwin reiste nach Afrika und arbeitete als Reporter für das Sunday Times Magazine. In einem knappen Telegramm kündigte er dort seine Mitarbeit auf: „Für vier Monate fort nach Patagonien.“ Der Abenteurer war unruhig, rastlos und sprunghaft. Jeder, der Bruce Chatwin kennen lernte, war von dem begnadeten Geschichtenerzähler in kürzester Zeit begeistert. Außerdem sah er unverschämt gut aus. Das Leuchten in seinen Augen zog nicht nur Frauen, sondern auch Männer an. Die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag sagte einmal über ihn: „Es gibt nur wenige Menschen auf der Welt, deren Aussehen einen bezaubert und fasziniert.“
Bruce Chatwin wurde von seinen Verehrerinnen und Verehrern begehrt und geradezu angebetet. Er wurde von allen geliebt und gehörte doch nur sich selbst. Der Schriftsteller Cees Noteboom charakterisierte ihn einmal mit folgenden Worten: „Er war ein Göttersohn, der wie ein tanzender Derwisch über die Erde stob auf der Suche nach demjenigen, der er nun eigentlich war.“ Nicht einmal seinem Biographen Nicholas Shakespeare gelang es alle Schattierungen seines Charakters zu beschreiben. Er sagt: „Was man auch immer über Bruce Chatwin sagen mag – das Gegenteil trifft ebenso zu. Es scheint so viele Bruce Chatwins gegeben zu haben, wie Menschen, denen er begegnet ist.
„Die Traumpfade“ werden der größte literarische Erfolg von Bruce Chatwin
Seine Reisereportagen sollten ursprünglich und echt sein. Aber in seinen Erzählungen und Romanen machte er aus grauen Gänsen die herrlichsten, weißen Schwäne. Im Jahr 1977 erschien sein erstes Buch mit dem Titel „In Patagonia“. Es folgte der Roman „Der Vizekönig von Quidah, der die Geschichte eines brasilianischen Sklavenhändlers erzählt. Der deutsche Regisseur Werner Herzog verfilmte den Stoff mit dem Schauspieler Klaus Kinski in der Rolle des Banditen Cobra Verde. Sein nächstes Werk hieß „Auf dem schwarzen Berg“ und handelt von zwei walisischen Bergbauern, die seit dreiundzwanzig Jahren im Bett ihrer Mutter schlafen.
Einen Bestseller und einen seiner größten literarischen Erfolge schrieb Bruce Chatwin mit dem Buch „Traumpfade“, das 1990 in Deutschland erschien. Für die Recherche reiste er 1983 und 1984 nach Australien und erforschte die Kultur der Aborigines, der Ureinwohner des Landes. In seinem Reisebericht beschreibt Bruce Chatwin die unsichtbare mythische Roadmap, die in der Urbevölkerung, in der Form von Liedern, von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Die Aborigines tragen alle Mythen Australiens in sich. Bruce Chatwin sammelte für das Buch alle Informationen über die geheime Kultur der Urbevölkerung Australiens.
Als Bruce Chatwin 46 Jahre alt war, wurde bei ihm die Krankheit HIV positiv diagnostiziert. Zwei Jahre später wurde er am 16. Januar 1989 ins Krankenhaus gebracht, weil er ins Koma gefallen war. Er starb drei Tage später am 19. Januar, im Alter von nur 48 Jahren in Nizza. Seine Frau Elisabeth Chanler brachte die Asche von Bruce Chatwin zu einem seiner Lieblinksorte nach Griechenland, den Trümmern der byzantinischen Kirche des heiligen Nikolaus in Chora.
Von Hans Klumbies