Die Revolutionen von 1848 sind in Wirklichkeit nicht gescheitert

In seinem neuen Buch „Frühling der Revolution“ stellt Christopher Clark die These auf, dass die Revolutionen von 1848 in Wirklichkeit nicht gescheitert sind. In vielen Ländern bewirkten sie einen zügigen und dauerhaften konstitutionellen Wandel. Außerdem sorgten die Revolutionen für tiefgreifende Veränderungen in politischen und administrativen Verfahren auf dem ganzen Kontinent. Dabei handelte es sich gewissermaßen um eine europäische „Revolution in der Regierung“. Christopher Clark fügt hinzu: „In ihrer Intensität und geographischen Reichweite waren die Revolutionen von 1848 einzigartig – zumindest in der europäischen Geschichte.“ Denn im Jahr 1848 brachen politische Unruhen zeitgleich auf dem ganzen Kontinent aus. In gewisser Weise handelte es sich jedoch auch um einen globalen Aufstand, oder anders gesagt, einen europäischen Aufstand mit globaler Dimension. Christopher Clark lehrt als Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine’s College in Cambridge. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte Preußens.

Die Revolutionen prägte die Intensität des historischen Bewusstseins

Dieses Buch beschreibt in Kapitel 1 die prekäre soziale Welt in Europa vor 1848 – eine Ära, in der die große Mehrheit der Bevölkerung im Zuge des rasanten Wandels in Bedrängnis geriet und litt. Das politische Universum, in dem die Revolutionen ausbrachen – Kapitel 2 – war nicht durch feste Verpflichtungen und stabile Parteizugehörigkeiten strukturiert. Die politischen Konflikte der 1830er und 1840er Jahre – Kapitel 3 – trug man entlang unzähliger Spannungslinien aus. In den Kapiteln 4 bis 6 konzentriert sich Christopher Clark auf die Revolutionen selbst.

Kapitel 5 befasst sich mit den parallelen Vorgängen, die sich an allen Hauptschauplätzen abspielten. Die Kapitel 7 und 8 untersuchen das Abfallen der Revolutionen. Dabei stehen zunächst das allmähliche Nachlassen der revolutionären Energien, die Zersplitterung der Anstrengungen und die Abspaltung von gemeinsamen Unternehmungen im Mittelpunkt. Kapitel 9 führt in Raum und Zeit von den Epizentren des Aufstands fort. Zu den auffälligsten Aspekten dieser Revolutionen zählt für Christopher Clark die Intensität des historischen Bewusstseins unter so vielen zentralen Akteuren.

Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen 1848 und der Gegenwart

Es ist besonders spannend, ja sogar lehrreich, über die Menschen und Situationen von 1848 nachzudenken. Nämlich über die zerklüftete, vielgestaltige Art ihrer Politik. Über die Unruhe und den Wandel ohne ein sicheres Gespür für die Richtung, in die es gehen soll. Aufschlussreich ist zugleich das Nachdenken über die Ängste vor Ungleichheit und die Endlichkeit der Ressourcen, über die tödliche Verflechtung der Unruhen im Inneren mit den internationalen Beziehungen, über das Einbrechen von Gewalt, Utopie und Spiritualität in die Politik.

Christopher Clark erklärt: „Wenn denn eine Revolution bevorsteht – und von einer nichtrevolutionären Lösung der Polykrise, mit der wir derzeit konfrontiert sind, scheinen wir sehr weit entfernt zu sein –, könnte sie ganz ähnlich aussehen wie 1848: schlecht geplant, verstreut, uneinheitlich und voller Widersprüche.“ Historiker sollten bekanntlich der Versuchung widerstehen, sich selbst in den Menschen der Vergangenheit zu erkennen. Aber als Christopher Clark dieses Buch schrieb, hatte er das Gefühl, die Menschen von 1848 könnten sich in den heute Lebenden wiederfinden.

Frühling der Revolution
Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt
Christopher Clark
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt
Gebundene Ausgabe: 1164 Seiten, Auflage: 2023
ISBN: 978-3-421-04829-5, 48,00 Euro

Von Hans Klumbies