Sokrates lässt keinen Zweifel daran, dass die ersten Bildungsschritte schwer und mühsam sind: Wer die virtuellen Schattenkonsumenten dazu bringen will, ihre liebgewonnenen Denkgewohnheiten und trivialen Beschäftigungen als Illusionen zu entlarven, mittels derer sie sich unterhalten, dabei aber jedem wahren Leben fernhalten, muss mit heftigem Widerstand rechnen. Christoph Quarch schreibt: „Das hatte Sokrates schmerzvoll erfahren. Denn in vielen von Platons frühen Dialogen erleben wir ihn genau in der Funktion, die er im Höhlengleichnis beschreibt: Er versucht denen, die in Meinungen, Konventionen, Denkmustern und Glaubenssätzen erstarrt sind, die geistigen Fesseln abzunehmen und ihnen klar zu machen, dass sie ihre Sicht der Dinge fälschlich für die ganze Wahrheit halten.“ Der Philosoph, Theologe und Religionswissenschaftler Christoph Quarch arbeitet freiberuflich als Autor, Vortragender und Berater.
Der Narzissmus fördert feste Denkgewohnheiten
Und wie man sich denken kann, macht er sich damit dauernd neue Feinde. Denn nichts hassen virtuelle Schattenkonsumenten mehr, als dass man sie und ihre Lebensform in Frage stellt. Dabei gibt es einen Weg zur Entfesslung und Befreiung: die Destruktion der eigenen Denkgewohnheiten zuzulassen und die Identifikation mit seinem eigenen, ach so tollen Wissen aufzugeben. Aber davon hält viele Menschen ihr Narzissmus ab: die Unfähigkeit, sich etwas sagen zu lassen, das den eigenen Geisteshorizont erweitern oder einen selbst in Frage stellen könnte.
Der erste Schritt auf dem Weg zur Bildung ist heute noch genauso schwer – wenn nicht noch schwerer – als zu Sokrates` Zeiten: das Durchbrechend des Ego-Panzers virtueller Schattenkonsumenten, deren Mantra lautet: „Mir hat niemand was zu sagen“, „Das geht mich alles nichts an“ oder „Ich muss mich von niemandem belehren lassen“. Aller Bildung Anfang liegt jedoch darin, sich in seinem Selbstverständnis, seinen Denkgewohnheiten und Konventionen in Frage stellen zu lassen.
Dialoge führen zu einem lebendigen Leben
Und das geht nirgends so gut wie in der dialogischen Begegnung mit anderen Menschen: Wer wirklich lebendig werden möchte, sollte sich der Begegnung mit anderen Menschen nicht entziehen – gerade dann nicht, wenn sie unbequem sind und den eigenen Stolz und persönliche Eitelkeit verletzen. Nichts bringt einen Menschen auf den Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben so weiter, wie ein anderer, der einen wie Sokrates mit seiner Unbequemlichkeit elektrisiert.
In vielen von Platon verfassten sokratischen Dialogen wird ein gekränkter Möchtegern von Sokrates in seinem Selbstbild verstört und probt den Rückzug. Geschieht das, endet das Gespräch in der Ausweglosigkeit. Ein konstruktives Fortkommen auf dem Weg zu Bildung scheint nicht mehr möglich. Sokrates ist damit gar nicht glücklich. Denn die Zahl der von ihm genervten Gesprächspartner nahm irgendwann für ihn bedrohliche Ausmaße an. Außerdem geht es Sokrates um folgendes: dass sein Gegenüber im Gespräch Einsichten erlangt und aus eigener Kraft etwas versteht. Quelle: „Platon und die Folgen“ von Christoph Quarch
Von Hans Klumbies