News bedeuten heute vor allem „Skandal“

Viele Menschen sehen sich heute nach Tiefgang. Davon ist Anders Indset überzeugt. Donald Trumps Popularisierung von Fake News führt zu einer Gegenreaktion. Sie verstärkt den Druck auf die Validierung. Anders Indset stellt fest: „Das Phänomen lässt uns mehr Masse mit mehr Klasse gleichsetzen.“ In früheren Zeiten war der Abstand zwischen Ereignis und Bericht größer. Es gab wenige Quellen. Darum hatte man Zeit für eine umfangreiche Recherche. Heute bleibt nicht einmal die Zeit, Die Fehlaussagen und Unwahrheiten aufzuarbeiten. Durch die Demokratisierung und Technologisierung wurde jeder zum Broadcaster, kostenfrei von überall. Das Problem der neuen Technologien ist, dass News heute vor allem „Skandal“ bedeuten. Je größer die Masse, desto lauter, schräger und skurriler muss es sein. Anders Indset, gebürtiger Norweger, ist Philosoph, Publizist und erfolgreicher Unternehmer.

Unwahrheiten werden belohnt

Schock = Share, ist folglich die Logik. Negative Schlagzeilen und vor allem Unwahrheiten und Verschwörungsmythen triggern eher den Share. Mit der Häufigkeit der Behauptung verstärkt sich der Aufschrei „Das kann doch nicht wahr sein!“ Darauf sind die ganzen Belohnungsmechanismen ausgelegt, der Mehrwert steckt im Teilen, in den Views und Likes. So handelt es sich um einen Designfehler. Unwahrheiten werden durch ihre Schockerzeugung und Reaktionserzwingung belohnt und entlohnt.

Anders Indset ergänzt: „Es folgt Echtzeit-Validierung. Vertrauensbildung. Zu klären ist: Wer und was falsifiziert Mitteilungen? Wer gibt das Faktische vor? Hier kommt es dann zu offensichtlichen Konflikten der Meinungsfreiheit und Zensur.“ Die Grenzen sind schwierig, und häufig stecken ethische und moralische Problemstellungen dahinter, die schwer darzustellen sind. Erfolgreich ist, wer erfolgreich ist, und das misst sich in Klicks, Likes, Comments und Shares. So funktioniert heute Werbung. Konsumenten überwinden die Paywall auch nur, wenn die perfekte Headline lockt.

Faktizität wird durch Visibilität ersetzt

Viele Menschen sind heute Sklaven ihrer eigenen Freiheit. Die moderne Sklaverei ist die der Selbstausbeutung. Die der verlorenen Herrschaft in der Herrschaft. Und womöglich findet man auch einen berechtigten Kritikpunkt in Neil Postmans Werk. Es ist nicht das Problem des Mediums und des Visuellen, sondern wie man Kommunikation betreibt. Die Rolle und Definition einer neutralen und verständnisvollen Beobachtung ist von der Technologie überholt beziehungsweise fehlt vollends.

Journalisten müssen heute liefern, nicht verstehen, produzieren oder recherchieren. Anders Indset weiß: „Vollständigkeit, Verständlichkeit, Sachlichkeit und Neutralität verlieren gegen das Messbare und Gemessene. Wir erleben zwei gegensätzlich Facetten der gleichen Geschichte, und uns fehlen schlicht die Werkzeuge, um zu interpretieren. Dabei nehmen wir auch nur die eine Seite wahr. Sie ist absolut. Ein Tweet, eine Headline. Schnell teilen, Likes und Shares sammeln. Faktizität wird durch Visibilität ersetzt.“ Quelle: „Das infizierte Denken“ von Anders Indset

Von Hans Klumbies