Zarathustra predigt tauben Ohren

Die riskante Anstrengung kann zu einem Übergang in eine gesteigerte Daseinsform, beziehungsweise zum Übermenschen führen. Gleichzeitig ist dabei ein finaler Untergang möglich. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Bei Friedrich Nietzsche ist die Zukunft der Menschheit nicht hell, weil die Katastrophe als Möglichkeit immer präsent bleibt.“ Nicht zuletzt verweist darauf dieses großartige „Oh Mensch!“ Oh Mensch! Die Versuchung liegt nahe, hier einen ermahnenden, drohenden, enttäuschten Anruf zu hören. Zumindest Zarathustra macht die Erfahrung, dass er tauben Ohren predigt. Die Menschen lassen es an Bereitschaft vermissen, über sich hinauszugehen. Sie mögen sich nicht nur als Übergang verstehen und ihren Untergang feiern. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

Die Lehre des Übermenschen ist gescheitert

Zarathustra spricht: „Da stehen sie, da lachen sie: sie verstehen mich nicht, ich bin nicht der Mund für ihre Ohren.“ Damit ist die grandiose Lehre des Übermenschen auch schon gescheitert. Man könnte den Grundgedanken von Friedrich Nietzsches berühmtesten Buch so zusammenfassen: Wie wird Zarathustra damit fertig, dass die Lehre vom Übermenschen verlacht wird? Was hilft es, den Menschen zu predigen, dass sie Übermenschen werden sollen, und diese verweigern sich einfach?

Konrad Paul Liessmann will die Analogie jedoch nicht zu weit treiben. Und doch erinnert es an aktuelle Optimierungsdebatten, in denen man den Menschen ständig bedeutet, sie müssten mehr Intelligenz und Leistungsfähigkeit zeigen. Manche fordern, sie müssten ihre Körper und Hirne mit künstlicher Intelligenz kurzschließen oder sich digitale Gedächtnisspeicher implantieren lassen. Die Begeisterung der meisten Menschen für diese angeblichen Segnungen hält sich allerdings in Grenzen.

Technikskeptiker gelten als Feiglinge

Kein Fortschritt generiert sich von selbst, jede Innovation muss man durchsetzen. Und diese gilt umso mehr von Ansätzen, die versprechen, den Menschen überwinden zu wollen. „Oh Mensch!“ Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Damit ist der störrische Mensch angesprochen, der nicht hören will, vielleicht der Mensch, der tatsächlich das Potential zum Übermenschen in sich trägt und dieses vernachlässigt.“ Und darin verbirgt sich jene ignorante Ängstlichkeit, die Zarathustra diesem trägen Menschen zuschreibt.

Ihnen scheint die Kraft zu fehlen, sich zu zerstören, um sich neu zu gewinnen. Konrad Paul Liessmann weiß: „Technikskeptiker gelten auch in unserer Zeit als Feiglinge.“ Dieser Mensch, den Zarathustra am Horizont der Geschichte auftauchen sieht, wird im doppelten Sinn der „letzte Mensch“ sein. Er ist der schwächste, damit der verachtenswerte Mensch – wirklich das Letzte. Und dann ist der letzte Mensch derjenige, der gerade noch da ist, obwohl die Zeit des Übermenschen schon gekommen wäre. Er ist ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, nicht auf der Höhe der Zeit und daher ohne Daseinsberechtigung. Quelle: „Alle Lust will Ewigkeit“ von Konrad Paul Liessmann

Von Hans Klumbies