Der Mensch erschafft sich sein Weltbild selbst

Im zweiten Hauptfach von Senecas Seelenschulung geht es um den Umgang mit sich selbst. Albert Kitzler meint: „In gewisser Hinsicht kann man sagen, dass es das wichtigste Hauptfach ist.“ Alle Wahrnehmungen, jegliche Welterfahrung, ja auch die Selbstwahrnehmung gehen durch den Filter des eigenen Vorstellens, Denkens, Bewertens und Wollens. Seit der Antike bis heute haben Philosophen daher immer wieder betont, dass der Mensch sich sein Weltbild selbst erschafft. In einem selbst liegt der Schlüssel zu allem. Die Arbeit an einem selbst macht es möglich, mit anderen Menschen und zum äußeren Geschick einen Umgang zu finden, der einen selbst nicht belastet. Sondern dieser Umgang kann die eigene Person sogar erfüllt und glücklich machen. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

Durch Selbstgenügsamkeit wird ein Mensch autark

Doch dafür muss man zunächst lernen, mit sich selbst richtig umzugehen. Hier kommt der in der Antike zentrale Gedanke der Selbstgenügsamkeit ins Spiel. Das meint: sich selbst helfen zu können, sich selbst zu genügen und autark zu sein. Albert Kitzler erklärt: „Wenn wir zunächst lernen sollten, mit uns selbst umzugehen, so meint das kein zeitliches Nacheinander. Sich selbst, die Welt, die andern Menschen sowie die Gesetze des Lebens und der Seele zu erschließen, geschieht immer gleichzeitig.“

Wenn ein Mensch denkt, denkt er immer auch an die anderen, die Welt und an sich selbst. Dem Selbstverhältnis kommt dabei ein gewisses Übergewicht zu, denn in einem selbst, in den eigenen Vorstellungen liegt der Filter, durch den man die Welt und die anderen erfährt. Es lohnt sich also, die Mechanismen des Seelenlebens und die daraus entstehenden Vorstellungen zu verstehen. Denn nur so kann man sich selbst in den Griff bekommen. Wer nicht lernt, sich selbst zu verstehen und zu steuern, wird auch nicht sein Leben leiten können.

Seneca beschäftigt sich intensiv mit dem Seelenleben

So verwundert es Albert Kitzler auch nicht, dass sich die meisten Äußerungen Senecas mit dem Menschen und dessen Seelenleben beschäftigen. Eine der wichtigsten Forderungen Senecas lautet: innezuhalten. Zunächst geht es darum, einen Raum zum Nachdenken und zur Selbstreflexion zu eröffnen. Die Menschen müssen sich eine sichere Basis schaffen, von der aus sie damit anfangen können, Orndung in das Chaos ihres Seelenlebens zu bringen. Häufig mangelt es sich schon daran, sich eine freie Minute zur stillen Selbstbesinnung zu verschaffen.

Albert Kitzler warnt: „Wenn wir aber keine Zeit finden, das Rad unserer Aktivitäten anzuhalten und über uns nachzudenken, dann kommen wir nicht weiter. Das war zu Zeiten Senecas nicht anders als heute.“ Der Gesunde kehrt immer wieder zu sich zurück, wie es die Natur vormacht, denn er ist sich selbst genug. Im eigenen Selbst liegt der Schlüssel zum Glück. Seneca schreibt: „Der Weise ist sich selbst genug, um glücklich zu leben, nicht um zu leben.“ Quelle: „Leben lernen – ein Leben lang“ von Albert Kitzler

Von Hans Klumbies