Mit Friedrich Nietzsche beginnt ein neues Denken

Nie war Friedrich Nietzsche in der deutschsprachigen Pädagogik so out wie heute. Denn Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud hätten radikalen Zerfallsvisionen Vorschub geleistet. Friedrich Nietzsche mit seiner Vision des von aller moralischen Last befreiten dionysischen Menschen. Sigmund Freud mit seiner These vom Triebverzicht als Basis der modernen Kulturentwicklung, deren Preis Psychoneurosen sind. So lautete beispielsweise die Anklage des deutschen Erziehungswissenschaftlers Jürgen Oelkers. Christian Niemeyer erwähnt Konrad Paul Liessmann, der Friedrich Nietzsche als einen Denker wahrnahm, der die Struktur des modernen Denkens vorweggenommen habe und insofern an der Zeit sei. Konrad Paul Liessmann meinte sogar von einem Triumph Friedrich Nietzsches über den Geist der Aufklärung sprechen zu können. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

Das Leben ist in erster Linie ein Rausch

Konrad Paul Liessmann schreibt: „Das heutige Ziel hat die Inszenierung von Kunst jenseits des Lebens zu sein. Weil nur als ästhetisches Phänomen zu rechtfertigen, muss die Welt als lebendige verschwinden, sich auflösen in reinen Schein.“ Friedrich Nietzsche hat in seinem Spätwerk die selbstverständliche Zentralstellung der Ästhetik durch eine Art „ethischer Metaphysik“ ersetzt. Was im Übrigen für Christian Niemeyer auch wenig erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass er jenseits des „Zarathustras“ gehalten war, auf eine Ordnung der Dinge ohne Gott zu reflektieren.

Laut Friedrich Nietzsche sind alle Handlungen im Wesentlichen unbekannt und niemals das, als was sie einem Menschen erscheinen. Fast überall in postmodernen Texten konnte man um 1998 Sätze lesen wie: „Das Leben ist nicht in erster Linie Erkenntnis, sondern ein Rausch.“ Oder: „Das Ich kann seine Sicherheit nicht aus der Vernunft schöpfen.“ Sätze, die auf Friedrich Nietzsche zurückgehen. Ähnliches gilt für das weitverbreitete Argument, Friedrich Nietzsche habe den klassischen Wahrheitsbegriff zerstört.

Als Philosoph war Friedrich Nietzsche ein Autodidakt

Das hat zur Folge, dass es für ihn „nur noch Interpretationen und keine Tatsachen“ mehr gab. Ganz im Einvernehmen übrigens mit seinem Wahlspruch „Nichts ist wahr, alles ist erlaubt“. Friedrich Nietzsches allererste Forderung – Texte genau zu lesen – gilt inzwischen vielen als kontraproduktiv im Blick auf das eigene Streben. Dieses Streben mag verständlich sein, führt aber zumal die Nietzscheforschung nicht weiter. Analog zum Image Nietzches als „Jugendverführer“ um 1900, redet der Mainstream der Pädagogik heutzutage über einen Klassiker.

Christian Niemeyer nennt das einen Niedergang des kritischen Denkens innerhalb der Allgemeinen Pädagogik. Dem ist auch zuzurechnen, dass der seit 1998 sukzessive erweiterte Forschungsstand zu Nietzsche en detail überhaupt nicht mehr interessiert. In der Nietzscheszene ist es keineswegs unumstritten, ob er als Philosoph gelten darf, allein schon seines Hauptwerks „Also sprach Zarathustra“ wegen. Ein Werk, das nur Dichtung zu sein scheint und in dieser Wertung neue Aufmerksamkeit auf den Umstand lenkt, dass Friedrich Nietzsche, der studierte Altphilologe, ja nur, was die Philosophie angeht, ein Autodidakt war. Quelle: „Auf die Schiffe, ihr Philosophen!“ von Christian Niemeyer

Von Hans Klumbies