Die Freiheit ist vor allem eines – großartig

Die Freiheit scheint für viele Menschen kein Glücksversprechen mehr, sondern eher ein lästiges Gut zu sein. Eine immer weiter um sich greifende Müdigkeit scheint sich breit zu machen. Rupert M. Scheule untersucht in seinem neuen Buch „Wir Freiheitsmüden“ nicht nur dieses gefährliche Phänomen, sondern erinnert auch an den Wert der Freiheit. Viele Menschen haben manchmal so viel zu tun, dass sie jedes Gefühl verlieren für den Ursprung allen Tunkönnens, nämlich die Freiheit. Auch wenn der Fall der Mauer im Jahr 1989 für die meisten Menschen nur einen Fernseherfahrung war, werden doch viele dadurch eines nicht vergessen: „Bevor Freiheit anstrengend, ermüdend und kompliziert ist, ist sie vor allem eines – großartig. Und nötigenfalls müsste man sie wohl mit Zähnen und Klauen verteidigen.“ Rupert M. Scheule ist Professor für Moraltheologie und Christliche Sozialwissenschaft an der Theologischen Fakultät Fulda.

Die Freiheit muss stressfreier werden

Die vielen Schwierigkeiten bei Entscheidungen vieler Menschen folgen offenbar einem Muster eines Dilemmas. Rupert M. Scheule stellt sich die Frage, was Individuen eigentlich wollen, wenn sie sich als überanstrengt und freiheitsmüde zu erkennen geben. Dass sie die Freiheit von der Freiheit suchen, glaubt der Autor nicht. Sondern sie sind müde von etwas, was sie eigentlich zutiefst bejahen und trotz ihrer Müdigkeit nicht ablehnen werden. Rupert M. Scheule schlägt vor: „Es muss darum gehen, die Freiheit stressfreier zu bewohnen. Es geht nicht darum, gegen die Freiheit zu sein, sondern für uns.“

Rupert M. Scheule vertritt die These, dass man die Freiheitsmüdigkeit wie die Freiheitssehnsucht mit ein und derselben Haltung begegnen kann: der Haltung bewusst bejahter Freiheit, die ein Ja zur Endlichkeit dieser Freiheit einschließt. Die Schwierigkeiten, die Menschen mit scheinbar zu viel Freiheit haben, sind Thema des zweiten Kapitels. Im dritten Abschnitt geht es um die Frage, wie es eigentlich möglich ist, dass viele Menschen in den angeblich freiesten Zeiten der Menschheitsgeschichte subjektiv so häufig das Gefühl haben, ihre Freiheit werde ständig beschnitten.

Die Freiheit ist auch endlich

Das daran anschließende Kapitel enthält eine Skizze jener Philosophie, die im 20. Jahrhundert als Philosophie der Freiheit schlechthin galt: des Existentialismus. Im zentralen fünften Kapitel versucht Rupert M. Scheule, ausgehend von den Intuitionen, die Menschen beim Begriff der Freiheit haben, auf den Punkt zu bringen, was hier unter Freiheit verstanden werden soll. Im sechsten Abschnitt geht es darum, dass die Theologie immer wieder in Erinnerung ruft, dass die Freiheit nicht nur frei, sondern auch endlich ist.

Im nächsten Abschnitt klärt Rupert M. Scheule wie man sich in christlicher Freiheit gegen die Zwänge des Systems behauptet. Das Schlusskapitel handelt von der letzten – und vielleicht wichtigsten – Entscheidung des Autors, mit der er freilich erst in seinem Tod rechnet. So endet sein Buch mit der Freiheitserfahrung, die er im Tod zu machen glaubt. Rupert M. Scheule schreibt: „Auch wenn das Buch mit meinem Tod schließt, wird das kein trauriges Ende. Theologen erzählen Geschichten von der Endlichkeit des Menschen immer so, dass sie gut ausgehen, weil sie nicht irgendwo, sondern bei Gott enden.“

Wir Freiheitsmüden
Warum Entscheidung immer mehr zur Last wird
Rupert M. Scheule
Verlag: Kösel
Gebundene Ausgabe: 202 Seiten, Auflage: 2015
ISBN: 978-3-466-37094-8, 19,99 Euro

Von Hans Klumbies