Der Psychologe Wolfgang Schmidbauer schreibt in seinem Buch „Lebensgefühl Angst“: „Noch nie hatten so viele Menschen so viel zu verlieren wie heute.“ Außerdem diagnostiziert er ausgerechnet im Wohlstandsland Deutschland eine missmutig-depressive Grundstimmung. Auf die Frage, wie man mit dem Gefühl der Ohnmacht bei ständig neuen Horrornachrichten umgeht, bekennt der Psychologe Oskar Holzberg: „Ich bin verloren, zwischen dem dringenden Gefühl, viel mehr tun zu müssen, und einer lähmenden Sinnlosigkeit, weil mir alles, was ich tun kann, wie ein lächerlicher Tropfen auf den heißen Steinen der Weltkonflikte erscheint.“ In einem langen Essay in der ZEIT beklagt die Autorin Julia Friedrichs einen zunehmenden Rückzug ins Private: Viele Menschen interessierten sich heute mehr für Stressabbau und Handarbeit als für die drängenden Fragen der Gegenwart.
Die Welt ist instabil geworden
Julia Friedrichs schreibt: „Das ist wie bei Kindern, die die Augen zudrücken und hoffen, die Schrecken mögen verschwinden. Wer auf diesem Globus jenseits der Landesgrenzen von Lummerland/Deutschland kann sich eine solche Realitätsverweigerung erlauben?“ Wolfgang Schmidbauer versteht allerdings, dass viele Menschen nicht mehr Zeitung lesen möchten. Weil sie die Flut der schlechten Nachrichten nicht mehr aushalten. Die Welt ist instabil geworden. In den letzten Jahrzehnten haben die Unsicherheiten enorm zugenommen, ebenso die Ängste vor falschen Entscheidungen.
Wolfgang Schmidbauer glaubt, dass in einer globalisierten Welt die Ängste schon allein deshalb zunehmen, weil sie eine biologische Reaktion auf Unübersichtlichkeit und Reizüberflutung sind. Denn in allen Menschen steckt der elementare Wunsch, eine Situation überblicken und kontrollieren zu können. Unübersichtlichkeit verursacht Angst. Und die nimmt in der Moderne paradoxerweise auch deshalb zu, weil die Menschen so viel wissen. Viele ziehen sich deshalb ins Private zurück, träumen vom Häuschen auf dem Lande und versuchen die böse Welt da draußen möglichst zu ignorieren.
Die Lust ist der mächtigste Gegenspieler der Angst
Die häufigste Reaktion auf Angst ist neben der Gewalt der Rückzug. Wolfgang Schmidbauer ergänzt: „Das gilt sowohl für Beziehungen, wo man nicht mehr mit dem Partner redet, als auch im Gesellschaftlichen.“ Schon Sigmund Freud hat gesagt, dass bei Ängsten das aktive Vorgehen notwendig ist: Man muss sich seinen Ängsten stellen. Dann kann man auch die Erfahrung machen, dass im Handeln die Angst oft schwindet. Die Lust ist der mächtigste Antagonist von Angst. Wer Freude und Lust empfindet, verspürt in diesem Moment keine Angst.
Wolfgang Schmidbauer glaubt, dass es gerade in den unübersichtlichen modernen Zeiten gut ist, Bereiche zu finden, in denen man sich unabhängig von großen Strukturen und anonymen Mächten entwickeln kann und das Gefühl hat: Diesen Bereich beherrsche ich. Das häufigste Krankheitsbild in der Praxis von Wolfgang Schmidbauer sind Depressionen, die aber mit Angst zusammenhängen: „Depressionen entstehen ja oft daraus, dass jemand das Gefühl hat, aus einer bedrückenden Situation nicht heraus zu kommen oder weil er Angst hat, sein Leben zu verändern.“ Quelle: „Was kostet ein Lächeln?“ von Ulrich Schnabel
Von Hans Klumbies