Das Spiel steht dem Ernst entgegen

Es erscheint für Volker Gerhardt geradezu natürlich, das Spiel als das zu sehen, was dem „Ernst“ entgegensteht. Aus der Sicht kindlicher Wahrnehmung kann das gar nicht anders sein. Denn das Kind hat vornehmlich den Wunsch, spielen zu dürfen. Es muss aber durchweg mit der Maßgabe rechnen, dass jetzt Schluss zu sein habe. Nämlich weil Schularbeiten zu machen sind oder weil es Zeit ist, schlafen zu gehen. Volker Gerhardt fügt hinzu: „Auch mitten im sprichwörtlich gewordenen Kinderspiel kann es plötzlich ernst werden: wenn die Nase blutet, der Ball gestohlen wird oder der Bruder beim Schwimmen um Hilfe ruft.“ Dann schlägt das Spiel augenblicklich um in tödlichen Ernst. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Im Spiel treffen Notwendigkeit und Freiheit aufeinander

Das Kind kann aber auch ohne den von außen kommenden Abbruch vom Ende wissen. Beim „Mensch ärgere dich nicht“ lässt sich schon mitten im Spiel die Erfahrung machen, wie schnell man die Lust verliert. Nämlich dann, wenn die Mitspieler die eigenen Figuren kurz vor dem Ziel aus dem Rennen werfen. Später lernt man dann, wie wichtig der Ernst auch im Spiel sein kann. Etwa wenn man den Ehrgeiz hat, auch ein Tor zu schießen. Auch an der Art, wie man selbst auf ein Foul in der eigenen Mannschaft reagiert, werden mitten im Spiel dessen Grenzen bewusst.

Volker Gerhard erklärt: „Schon ein Spieler, der sich nicht um Fairness bemüht, genügt, um zu erkennen, wie sehr der Ernst zum Spiel gehören kann.“ Im Spiel übt man das Nebeneinander von Notwendigkeit und Freiheit ein. Das macht es einem leichter, im kultivierten Leben, mit dem Ineinander von Konvention und Spontaneität umzugehen. Die affektiven Energien, die Spiel und Sport freisetzen, sind beträchtlich. Und gerade deshalb ist es wichtig, dass die Karten gut gemischt sind und dass man im Wettkampf genau zählt, exakt misst und gerecht urteilt.

Spiel und Sport dringen auf ein moralisches Handeln

So gesehen ist es keine Überraschung festzustellen, dass es keine andere menschliche Tätigkeit gibt, die mit dem Ernst so eng verschwistert ist, wie das Spiel. Und dies sowohl in dessen Vollzug als auch in seiner äußeren Bewertung. Volker Gerhardt stellt fest: „Tatsächlich dringen Spiel und Sport aus eigener Logik auf ein moralisches Handeln. Die strikte Gleichheit sowohl in der Wahrung der Chancen wie auch im Maß, mit dem man misst, gilt in der Politik bis heute noch als Utopie.“

In Spiel und Sport aber sind sie zwingende Bedingungen, ohne die es weder das eine noch das andere gibt. Freilich ist jedem vertraut, dass die Verführung, die Regeln zu verletzen, nicht eben gering ist. Deshalb ist der Aufwand groß, den man zur Wahrung der Fairness betreibt. Schieds- und Kampfrichter sind unerlässlich. Sportgerichte haben viel zu tun, und die Suche nach Dopingmitteln und Dopingsündern nimmt kein Ende. Aber es gehört nach wie vor zu den Besonderheiten von Spiel und Sport, dass die Einhaltung der Regeln zur moralischen Selbstverpflichtung eines jeden Spielers gehört. Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt

Von Hans Klumbies