Der Kapitalismus strebt nach Umsatz und Gewinn

In der Logik des Kapitalismus ist Umsatz und Gewinn zu steigern grundsätzlich gut. Und das inwendige Gesetz zwingt zu einem Schneller, Höher, Weiter und Mehr. Richard David Precht stellt fest: „Die dazugehörige Mentalität ist der Egoismus, der jeden Marktteilnehmer gegenüber anderen abgrenzt, ihn stärkt und das Wachstum antreibt.“ Ökonomisch ist das in sich schlüssig. Allerdings besteht die Welt nicht nur aus einer solchen Logik. Sondern es existiert auch eine Psychologik mit völlig anderen Bedürfnissen. Nämlich nach Anerkennung und Liebe, zum Beispiel, die nicht eins zu eins mit Geld aufzuwiegen sind. Die Menschen sehnen sich nach Freundschaft, nach einem harmonischen Sozialleben und nach einer Gesellschaft, in der sie gerne leben möchten. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

Menschen machen sich in den sozialen Medien zur Ware

Das Staatswesen sollte den Einzelnen als Individuum wertschätzen und nicht schlichtweg als Humankapital betrachten. All das sind ebenjene Voraussetzungen, ohne die ein liberal-demokratischer Staat dauerhaft intakt funktionieren kann und kaum ein menschliches Leben gelingt. Tragischerweise hat das kapitalistische Denken seine Herrschaftssphäre beständig erweitert – und zwar nicht nur territorial, sondern viel mehr noch individuell. Es ist immer tiefer in das Zusammenleben der Menschen vorgedrungen, und es hat durch Deregulierung und neue Formen von Aufmerksamkeitsökonomie die Seelen der Menschen regelrecht kannibalisiert.

Menschen machen sich in sozialen Medien wie Instagram oder TikTok zur Ware. Und sie werden durch ihre Spuren im Netz zu nahezu unbeschränkten Objekten nicht nur der Selbstvermarktung, sondern auch der Ausbeutung. Richard David Precht weiß: „Dieser neue Kapitalismus ist nicht offen brutal und menschenverachtend wie der Manchesterkapitalismus des 19. Jahrhunderts. Aber er ist mindestens ebenso konsequent, wenn es darum geht, unbegrenzten Zugriff auf Menschen – diesmal in Form von Daten – zu gewinnen und sie kommerziell zu nutzen.

Viele Unternehmen manipulieren die Preise

Der ungezügelte Kapitalismus, durch keine Systemkonkurrenz gebremst, hat nicht nur Markennamen auf die Kleidung gestanzt. Bis in die Tiefen des menschlichen Bewusstseins hat er die Staatsbürgerschaft gelöscht und die Menschen zu Konsumenten gemacht. Viele verschwenden immer mehr Lebenszeit damit, über Preise nachzudenken und Tarife zu vergleichen, um auf Kosten anderer zu profitieren. Mit dem Aufkommen des Internets haben sich die Preise radikal verändert.

Richard David Precht erläutert: „Im sekundenschnellen Spiel von Angebot und Begehren wandeln sie sich, und jeder halbwegs aufgeklärte Bürger versteht, dass er als User hierbei verarscht wird.“ Menschen, deren Leben es zulässt und mitunter wohl auch erfüllt, sich unausgesetzt mit Preisen zu beschäftigen, ergattern dabei Vorteile zuungunsten derer, die es nicht können oder nicht tun. Nicht nur Privatunternehmen, wie die meisten Fluggesellschaften, selbst Unternehmen in staatlicher Hand wie die Bahn schrecken nicht davor zurück, Preise und Tarife auf diese Weise zu manipulieren. Quelle: „Von der Pflicht“ von Richard David Precht

Von Hans Klumbies