Allein der Kompass der Vernunft führt zum Glück

Sarah Bakewell macht in ihrem neuen Buch „Wie man Mensch wird“ ihre Leser unter anderem mit den italienischen Humanisten bekannt, die vor rund 700 Jahren auf die Idee kamen, dass der Mensch im Kern gut und frei ist. Zudem kann er auf der Suche nach Glück allein mit dem Kompass der Vernunft durch stürmische Zeiten steuern. Sarah Bakewell beschreibt, wie inspirierend deren Neugierde, Forschergeist und Optimismus bis in die Gegenwart gewirkt haben, trotz aller Anfeindungen durch Theologen, Tyrannen und Ideologen. Die Autorin erzählt von den mutigen Lebenswegen und überraschenden Entdeckungen der Humanisten und geht so deren großer Frage nach, wie man Mensch wird. Sarah Bakewell lebt als Schriftstellerin in London, wo sie Creative Writing an der City University lehrt und für den National Trust seltene Bücher katalogisiert.

Der Humanismus ist eine persönliche Angelegenheit

Sarah Bakewell betont: „Wir werden zwar als Menschen geboren, aber erst in einer Welt voller Beziehungen, Geschichten, Wissen, Liedern oder Bildern können wir wirklich Menschen werden: aufgeschlossen, neugierig, frei und glücklich im Hier und Jetzt.“ Alle Humanisten haben die menschliche Dimension des Lebens im Blick. Humanisten der geisteswissenschaftlichen Tradition befassen sich mit der menschlichen Welt der Kunst, Geschichte und Kultur. Nichtreligiöse Humanisten treffen ihre moralischen Entscheidungen auf der Grundlage des menschlichen Wohlergehens, nicht einer göttlichen Weisung.

Philosophische und andere Humanisten gleichen ihre Ideen permanent mit der realen menschlichen Erfahrungswelt ab. In diesem Ansatz, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt, klingt eine Bemerkung des griechischen Philosophen Protagoras an, der vor zweieinhalbtausend Jahren schrieb: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge.“ Für den Schriftsteller E. M. Forster ist der Humanismus eine persönliche Angelegenheit – und genau das ist der Punkt. Denn oft ist Humanismus tatsächlich etwas Persönliches, weil es um Personen geht.

Das Menschsein ist ein unergründliches Rätsel

Der Humanismus provoziert heftige Reaktionen. Denn es geht um den menschlichen Faktor. Aber der ist kompliziert und betrifft jeden Menschen in seinem Inneren. Das Menschsein ist ein unergründliches Rätsel und eine beständige Herausforderung. Die Geschichte, die Sarah Bakewell in ihrem Buch erzählt, umfasst im Wesentlichen siebenhundert Jahre, vom 14. Jahrhundert bis heute. Die Autorin hat ihr Werk auf diesen Zeitraum begrenzt, weil er eine Menge interessante Ereignisse aufweist, aber auch, weil er eine gewisse Kontinuität garantiert.

Sarah Bakewell bevorzugt die humanistische Kombination aus freiem Denken, Forschung und Hoffnung. Am Ende ihres Buchs kommt die Autorin noch einmal auf Robert G. Ingersolls Credo zurück: „Glück ist das einzige Gut. Die Zeit, um glücklich zu sein, ist jetzt. Der Ort, um glücklich zu sein, ist hier. Der Weg, um glücklich zu sein, ist, andere glücklich zu machen.“ Das klingt einfach; das klingt leicht. Aber es wird all den Einfallsreichtum erfordern, den ein Mensch aufbringen kann.

Wie man Mensch wird
Auf den Spuren der Humanisten
Sarah Bakewell
Verlag: C. H. Beck
Gebundene Ausgabe: 496Seiten, Auflage: 2023
ISBN: 978-3-406-80550-9, 32,00 Euro

Von Hans Klumbies