„Der Herr der Ringe“ ist ein Mythos

Das Thema der neuen Sonderausgabe des Philosophie Magazins lautet: „Der Herr der Ringe“. John Ronald Reuel, kurz: J. R. R. Tolkien erschuf mit dem „Herrn der Ringe“ eine packende, überaus komplexe Erzählung. Sie handelt von dem Hobbit Frodo, der auszieht, um eine ungewöhnliche Heldentat zu vollbringen. Er soll einen mächtigen Ring zum Ort seines Ursprungs zurücktragen. Chefredakteurin Jana Glaese erklärt im Editorial: „Auf dem Weg dorthin trifft er auf Wesen, Völker und Sprachen, die von Tolkien bis ins letzte Detail erdacht wurden. Gleichzeitig behandelt sein Werk grundlegende philosophische Fragen: In welchem Verhältnis stehen Sprache und Welt? Was ist das Böse? Wie bewahren wir uns einen Hauch des Zaubers, der in der Moderne verloren scheint?“ Wer „Der Herr der Ringe liest“ findet in dem Werk auch etwas Zeitloses und Leuchtendes.

J. R. R. Tolkien vermittelt übergreifende Wahrheiten

„Der Herr der Ringe“ ist getragen von der Liebe zum Erzählen, zur kreativen Schöpfung. Tolkien erschafft eine Kosmologie, indem er übergreifende Wahrheiten vermittelt. Dabei entsteht ein Mythos, der daran erinnert, dass das Erzählen das oberste Mittel der Sinnfindung ist. Gegliedert ist die Sonderausgabe Nr. 22 in fünf Kapitel: Die Macht der Sprache. Der Ruf des Magischen. Kritik der Moderne. Das Rätsel des Bösen. Quellen des Guten.

Den Philosophen Josef Früchtl fasziniert der Mythos als eine Antwort auf die Zufallsabhängigkeit des Menschen. Dabei spielt der Mythos eine spezifische Rolle: Er antwortet nicht nur auf den Zufall, sondern auch auf die Sinnfremdheit des Lebens. Josef Früchtl sagt: „Die Wirklichkeit ist grundlos und zwecklos. Einen Grund verleihen nur wir als Menschen. Darin liegt eine der großen Funktionen des Mythos.“ Er antworte auf keine Frage, die man im explanativen, wissenschaftlichen Sinn nicht beantworten kann.

Durch Prüfungen erlangt man ein höheres Sein

J. R. R. Tolkiens Erzählungen handeln vom Kampf gegen dunkle Kräfte und Tyrannen. Doch lässt sich das Böse je besiegen? Die Geschichte der Welt ist die Geschichte des „langsamen Erliegens“ gegenüber dem Bösen, schreibt Tolkien. Michaël Devaux stellt fest: „Im Bösen, wie Tolkien es darstellt, steckt immer der Wunsch, sich von der Endlichkeit zu befreien – was Unterschiedliches bedeutet, je nachdem, welche Macht derjenige hat, der die Hybris an den Tag legt.“ Grundsätzlich gilt: Macht verdirbt. Menschen wollen immer mehr davon, sobald sie sie einmal gekostet haben.

Tolkiens Erzählungen bestärken Menschen darin, die Hoffnung zu bewahren. Nicht, indem man an einen guten Ausgang glaubt, sondern indem man sich, trotz allem, ein Urvertrauen erhält. Für die Philosophin Irène Fernandez zeichnet Tolkiens Werk eine Theorie der Verantwortung und des Muts: „Prüfungen erlauben uns, ein höheres Sein zu erlangen.“ Das Beste kommt für Tolkien über das Opfer, das die Liebe reicher macht. Auch die Freundschaft gedeiht durch Prüfungen. Das ist der Ursprung der Gemeinschaft des Rings: das Bündnis einer Vielzahl von Völkern gegen die Hegemonie des Einen.

Von Hans Klumbies