Rechte sind für Peter Bieri ein Schutzwall gegen die Abhängigkeit, die durch Willkür entsteht. Damit tragen die Rechte zur Würde des Menschen im Sinne der Selbstständigkeit bei. Wer Rechte besitzt, kann Ansprüche geltend machen. Er muss nicht darum bitten, dass er etwas tun darf oder man etwas für ihn unternimmt. Peter Bieri fügt hinzu: „Er kann es einfordern und einklagen. Er ist auf niemandes Wohlwollen angewiesen. Man kann ihn nicht, wie einen Rechtlosen, herumschubsen.“ Wenn ein Mensch ein Recht auf etwas besitzt, so entspricht ihm eine Pflicht seiner Mitmenschen, etwas für ihn zu tun oder zu unterlassen. Peter Bieri studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.
Rechte schützen vor Demütigungen und vor Ohnmachtsgefühlen
Rechte sind auch ein Bollwerk gegen die Ohnmacht: Sie geben dem Menschen Macht, sich zu behaupten. Deshalb sind sie auch ein Schutz gegen Demütigungen. Sie engen die Möglichkeiten derer ein, die einem Menschen seine Ohnmacht demonstrieren und sie genießen möchten. Ein Mensch mit Rechten kann klagen, wenn er sich ohnmächtig fühlt. Wenn er vor Gericht Recht bekommt, empfindet er dies als Wiederherstellung oder Bestätigung seiner Würde.
Wenn ein Mensch den Anspruch erhebt, als selbstständige Person behandelt zu werden, dann sagt man: Er ist mündig. Wenn einem Menschen dieser Anspruch streitig gemacht wird, indem man ihn am Gängelband führt und Dinge über seinen Kopf hinweg entscheidet, dann fühlt er sich entmündigt und bevormundet. Peter Bieri fügt hinzu: „Was wir dann erleben, ist, dass man uns die Autorität über unser Leben wegnimmt: die Macht frei entscheiden und selbstständig handeln zu können. Es sind jetzt andere, die darüber bestimmen, was wir wollen und tun dürfen. Das kann Demütigung bedeuten und kann unsere Würde in Gefahr bringen.“
In einem despotischen Staat müssen die Menschen die Autorität über ihr Leben abgeben
Doch die menschliche Würde wird nicht von jeder Bevormundung bedroht. Ob sie es tut, hängt laut Peter Bieri davon ab, wer einem Menschen seine Autorität und Selbstständigkeit wegnimmt und aus welchen Gründen. Der schlimmste Fall ist seiner Meinung nach der Despot: Er und seine Gefolgsleute zwingen den Menschen eine totale Lebensform auf, die ihrem Denken, Wollen und Tun in den meisten Fällen zuwiderläuft. Die Menschen werden durch Drohungen, Überwachung, Erpressung und Folter gefügig gemacht und dazu gezwungen, die Autorität über ihr Leben vollständig abzugeben.
Doch natürlich ist nicht jeder Eingriff des Staates ins Leben eines Menschen eine Bevormundung, die seine Würde verletzt. Peter Bieri erklärt: „Parlamente erlassen Gesetze, und solche Gesetze sind oft Gebote und Verbote, die unseren Freiheitsspielraum einengen.“ Wenn die Menschen sie dennoch akzeptieren, liegt das vor allem daran, dass sie insgesamt das Ziel haben, die menschliche Würde zu schützen. Es geht dabei nicht um die Unterwerfung unter eine despotische Macht, sondern um den Verzicht auf Freiheit zum Nutzen der Gesellschaft.
Von Hans Klumbies