Das Denken kommt vor der Handlung

Das menschliche Gehirn verfügt gleichsam über ein Modell des Raumes. Matthias Glaubrecht erklärt: „So können wir uns beispielsweise in Gedanken vorstellen zu hantieren, ohne dies bereits handgreiflich zu tun. Wir können Handlungen vollziehen, ohne sie wirklich schon auszuführen.“ Die Vorfahren der heutigen Menschen konnten irgendwann dank ihres sich entwickelnden Gehirns denken, ehe sie handelten. Diese Fähigkeit, bereits vorstellungsmäßig verschiedene Lösungsmöglichkeiten durchzuprobieren, ist leicht nachvollziehbar. Zudem ist sie von erheblichem biologischem Wert. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz betonte, dass man so bereits im Vorfeld etwas zu den Folgen verschiedener Handlungsweisen erfährt, ohne etwaige Konsequenzen in Kauf nehmen zu müssen. Dieses sogenannte Hantieren im Vorstellungsraum ist eine ursprüngliche Form des Denkens. Draußen sind Objekte, drinnen sind Gedanken und Träume, Fiktionen und Halluzinationen. Matthias Glaubrecht ist Evolutionsbiologe, Systematiker und Wissenschaftshistoriker.

Zuerst entwickeln sich Konzepte des Raumes

Inzwischen haben Psychologen und Erkenntnistheoretiker auch eine Vorstellung davon, wie sich die verschiedenen Kategorien der Erkenntnis während der Evolution entwickelt haben. Beobachtungen und Studien an Kleinkindern und Kindern lassen die ontogenetische Reifung des Geistes nachvollziehen. Diese reflektiert dabei auch die stammesgeschichtliche Entwicklung. So entwickeln sich zunächst die Konzepte des Raumes, der Zeit und des Objektes. Erst später folgen Ideen der Kausalität, der Logik, der Menge und der Zahl.

Matthias Glaubrecht fügt hinzu: „Anfangs entwickelte sich bei unseren Ahnen offenkundig ein Erkenntnisapparat als ein Werkzeug. Dieses war nur für eine bestimmte Umgebung getestet – den Mesokosmos. Und auserlesen letztlich, für das Überleben zu sorgen.“ Es gibt keinen Grund, warum er für mehr genutzt werden sollte. Denn die Forschung ist sich heute sicher, dass er tatsächlich aber für mehr taugt. Nämlich wie bei vielen biologisch entstandenen Strukturen im Sinne eines Funktionswandels.

Der Mensch hält sich für die Krone der Schöpfung

Sein Gehirn befähigt den Menschen, Hypothesen und Theorien zu bilden, die den Mesokosmos bei weitem überschreiten. Mit diesem es sich allerdings erst einig werden. Das Bild von der Welt, das sich ein Mensch macht, hängt maßgeblich von diesen ererbten Anschauungen ab, welche die Evolutionäre Erkenntnistheorie aufgezeigt hat. Dazu zählt das Wissen, das man sich über die Welt, den Menschen und die Stellung des Menschen in dieser Welt hat.

Der Philosoph Ernst Cassirer drückte es einmal so aus: „Der Mensch ist immer geneigt, den kleinen Bereich, in dem er lebt, als das Zentrum der Welt anzusehen. Deshalb macht er sein spezielles privates Leben zum Maßstab des Universums. Diesen eitlen Anspruch, diese ziemlich provinzielle Art zu denken und zu urteilen, muss er aufgeben.“ Genau dies aber fällt den Menschen bis heute schwer. Daran krankt die Menschheit, zumal eine in anderer Hinsicht alle Grenzen sprengende menschliche Bevölkerung des Planeten. Matthias Glaubrecht stellt fest: „Wir erkennen zwar nur einen kleinen, den mesokosmischen Teil der Welt. Wir halten uns aber just deshalb für den Nabel dieser Welt und die Krone der Schöpfung.“ Quelle: „Das Ende der Evolution“ von Matthias Glaubrecht

Von Hans Klumbies