Die eigenen Handlungen wirken sich direkt auf die Welt aus

Rituale beantworten einem Menschen die Frage, „Was soll ich als nächstes tun?“ und nehmen ihm damit die Bürde der Entscheidung und Überlegung ab. In einem früheren Buch mit em Titel „Ich schraube, also bin ich“ hat sich Matthew B. Crawford mit dem Verlust von Fähigkeiten im Alltagsleben beschäftigt. Das zentrale Thema das Buchs ist die individuelle Handlungsmacht – die Erfahrung, dass sich die eigenen Handlungen direkt auf die Welt auswirken, und das Wissen, dass diese Handlungen tatsächlich einem selbst gehören. Matthew B. Crawfords These lautete, dass echte Handlungsmacht nicht einfach auf freien Entscheidungen beruht, sondern paradoxerweise auf der Unterwerfung unter Dinge, die ihr eigens, unergründliches Wesen haben, ob dieses Ding nun ein Musikinstrument, ein Garten oder eine Brücke ist. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

Bei der Heteronomie wird das eigene Schicksal von anderen bestimmt

Matthew B. Crawford vertritt die These, dass Dinge tatsächlich als eine Art Autorität für einen Menschen dienen können, indem sie seine Aufmerksamkeit strukturieren. Die Gestaltung von Dingen wirkt sich auf den persönlichen Grad der Einbindung in die eigene Aktivität aus. Die Gestaltung erzeugt ein Ökosystem der Aufmerksamkeit, das den Erfordernissen eines gekonnten, ungehinderten Handelns mehr oder weniger gut genügen kann. Im buchstäblichen Sinn bedeutet Autonomie, sich selbst ein Gesetz zu geben.

Das Gegenteil der so verstandenen Autonomie ist die Heteronomie: Das eigene Schicksal wird von anderen bestimmt. Wenn man dem Phänomen der Aufmerksamkeit gerecht werden will, muss man sich mit der Vorstellung von Freiheit auseinandersetzen. Laut Matthew B. Crawford konstituiert die Umwelt das Selbst, anstatt es zu beeinträchtigen. Dabei steht die Aufmerksamkeit im Mittelpunkt dieses konstituierenden Prozesses. Wenn man auf einem bestimmten Gebiet Kompetenz erlangt, diszipliniert diese Praxis die Wahrnehmung.

Das autonome Selbst ist anfällig für den Narzissmus

Man begreift Merkmale einer Situation, die für einen Außenstehenden unzugänglich sind. Indem man eine Fertigkeit anwendet, nimmt das in der Welt handelnde Selbst eine klare Form an. Es passt zu einer Welt, die es begriffen hat. Das autonome Selbst dagegen übt eine schöpferische Herrschaft über eine Welt aus, die es entworfen hat. Dieses zweite Selbstverständnis ist für Matthew B. Crawford eine Einladung zum Narzissmus. Gleichzeitig macht es die Menschen leichter manipulierbar. Als atomisierte Individuen, deren Aufgabe es ist, selbst einen Sinn für sich zu finden, ist man Empfänger aller möglichen Anforderungen und Anleitungen.

Man bietet den Menschen Formen der Unfreiheit an, die schlau hinter dem Gerede von Autonomie versteckt sind: „Keine Grenzen!“, verkündet beispielsweise die Kreditkartenfirma. „Du hast das Sagen.“ Das Gerede von Autonomie bedient sich der konsumistischen Sprache der Befriedigung von Präferenzen. Matthew B. Crawford erläutert: „Um unsere wahren Präferenzen zu entdecken, müssen wir unsere Wahlmöglichkeiten maximieren, und genau das führt zu einer maximalen Verschwendung der eigenen Energie.“ Quelle: „Die Wiedergewinnung des Wirklichen“ von Matthew B. Crawford

Von Hans Klumbies