Kurt Tucholsky rechnet schonungslos mit dem Militär ab (4.Teil)

Kurt Tucholsky kehrt psychisch und physisch angeschlagen aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Anfang November 1918 tritt er die Stelle des Chefredakteurs der Zeitschrift „Ulk“ an. Der „Ulk“ teilt seine Schläge in erster Linie gegen die Ewiggestrigen, gegen die Schieber und Kriegsgewinnler und die verschlafenen Bürger aus. Aber schon bald richtete sich die Kritik auch gegen den Militarismus. Kurt Tucholsky fordert permanent während dieser Zeit eine geistige Revolution und die Einlösung der Versprechen der Französischen Revolution. Kurt Tucholskys Ideal vom freiheitlichen Verfassungsstaat, getragen von aufgeklärten Bürgern, kann seiner Meinung nach nur durch das richtige Bewusstsein geschaffen werden. „Gegen Gewalt den Geist!“ heißt seine Devise. Und er fügt hinzu: „Alle positiven Vorschläge nützen nichts, wenn nicht die rechte Redlichkeit das Land durchzieht.“

Das Offizierskorps hat im Ersten Weltkrieg kläglich versagt

Am 9. Januar 1919 erscheint in der „Weltbühne“ der erste Artikel seiner Militaria-Serie, in der sich Kurt Tucholsky mit den Offizieren und dem Geist des Militärs auseinandersetzt. Selten hat ein Autor mit dem Soldatenstand derart hart abgerechnet und seine Fehler und Verbrechen derart schonungslos offengelegt worden. Kurt Tucholsky schlägt allerdings nicht blind auf die Militärs ein, warf ihnen aber imperialistisches Machtstreben und Größenwahn vor und misst zudem das Militär an dessen eigenen Ansprüchen und Normen.

In seiner Militärbilanz, in der Kurt Tucholsky die Entwicklung des Militärs zu einer gesellschaftlich prägenden Kaste darstellt, gesteht er dem friderizianischen System sogar einigen Tugenden zu wie unbedingter Gehorsam, Sparsamkeit, Unbestechlichkeit und Reinheit in der einmal adaptierten Gesinnung. Diesem preußisch-militärischem Geist stellt Kurt Tucholsky die Realität des Weltkriegs gegenüber. Der Vergleich fällt vernichtend aus: Von Tüchtigkeit, Mut und Mannhaftigkeit des Offizierskorps ist im Ersten Weltkrieg keine Spur zu finden.

Kurt Tucholsky fordert eine Demokratisierung der Reichswehr

Vor allem die Kluft zwischen Offizier und dem einfachen Soldaten war unüberbrückbar. Fast jeder unbedeutende Feldwebel fühlte sich wie ein kleiner Gott, die Masse der Soldaten war hingegen nur „Menschenmaterial“. Die Bewohner der besetzten Gebiete galten noch weniger. Es wurde gestohlen, unterschlagen, geschoben und gelogen, die Korruption war allgegenwärtig. Außerdem hätten es die Herrn Offiziere meisterhaft verstanden, Huren wie Damen und Damen wie Huren zu behandeln. Kurt Tucholsky zeigt deutlich, wie die brutale und arrogante Haltung der Armee das Ansehen der Deutschen im Ausland nachhaltig geschädigt hatte.

All diese Missstände haben seiner Meinung nach wesentlich zu dem gesellschaftlichen und militärischen Zusammenbruch von 1918 geführt. In dem ungehinderten raschen Wiedererstarken des alten militärischen Geistes erkennt Kurt Tucholsky deshalb eine ungeheure Gefahr für den Bestand der Republik. Immer wieder warnt er vor den Fehlentwicklungen und ruft die Regierung auf, endlich einmal hart durchzugreifen und die Reichswehr zu demokratisieren. Quelle: Kurt Tucholsky von Michael Hepp, Rowohlt Verlag, 5. Auflage 2013

Von Hans Klumbies