Pflicht und Gehorsam verhindern Zivilcourage

Gerade weil es zahlreiche Gründe gibt, Zivilcourage zu zeigen, ist die Frage umso dringender, warum das so häufig nicht geschieht. Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen für Opfer von Gewalt und/oder Diktatur, stehen zwei mächtige Widersacher gegenüber: Plicht und Gehorsam. Beide sind durch Erziehung und Sozialisation in das Gefühlsleben und Verhaltensrepertoire von Menschen eingepflanzt. Sie sind Richtschnüre bei Entscheidungen und Handlungen geworden. Ihre Wirkung besteht vor allem darin, dass diejenigen mit Sanktionen zu rechnen haben, die „ungehorsam“ sind oder sich der ihnen auferlegten Pflicht widersetzen. Klaus-Peter Hufer erklärt: „Ein Synonym für die Grausamkeit, die Menschen anderen Menschen antun, ist Auschwitz.“ Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

Theodor W. Adorno entwickelt die F-Skala

Wie ein autoritäres Weltbild zusammengesetzt ist und mit welchen Kategorien präzise dargestellt werden kann, zeigt eine Untersuchung von Theodor W. Adorno (1903 – 1969). Sie bietet Aufschluss über starres, rigides und feindseliges Denken, das konträr zum selbstbestimmten autonomen Handeln steht, das Grundlage von Zivilcourage ist. Theodor Adorno erkannte bei denjenigen, bei denen aggressive, rassistische und antisemitische Vorurteile festgestellt wurden, das Muster eines autoritätsgebundenen Charakters.

Die F-Skala (F = Faschismus) präzisiert mit neun Variablen das Denkmuster einer autoritär eigestellten Persönlichkeit. Sie ist längst zu sozialwissenschaftlichen Klassiker geworden. Die erste Variable ist der Konventionalismus. Er beschreibt die starre Bindung an die konventionellen Werte des Mittelstandes. Die zweite Variable ist die autoritäre Unterwürfigkeit. Dabei handelt es sich um die unkritische Unterwerfung unter idealisierte Autoritäten einer Eigengruppe. Zur F-Skala zählt zudem die autoritäre Aggression. Darunter versteht man die Tendenz, nach Menschen Ausschau zu halten, die konventionelle Werte missachten, um sie zu verurteilen, ablehnen und bestrafen zu können.

Zur F-Skala gehören Destruktivität und Zynismus

Die vierte Variable ist die Anti-Intrazeption, das heißt die Abwehr des Subjektiven, des Fantasievollen, des Sensiblen. Aberglaube und Stereotype dürfen in der F-Skala nicht fehlen. Darunter fällt der Glaube an die mystische Bestimmung des eigenen Schicksals und die Disposition in rigiden Kategorien zu denken. Die sechste Variable besteht aus Machtdenken und Kraftmeierei. Es handelt sich dabei um ein Denken in Dimensionen wie Herrschaft – Unterwerfung oder Führer – Gefolgschaft. Dazu kommt die übertriebene Zurschaustellung von Stärke und Robustheit.

Destruktivität und Zynismus gehören ebenfalls zur F-Skala. Sie gehen einher mit einer allgemeinen Feindseligkeit und einer Diffamierung des Menschlichen. Variable Nummer acht ist die Projektivität, nämlich die Disposition, an wüste und gefährliche Vorgänge in der Welt zu glauben. Dazu gehört auch die Projektion unbewusster Triebimpulse auf die Außenwelt. Die letzte Variable betrifft die Sexualität, das heißt eine übertriebene Beschäftigung mit sexuellen Vorgängen. Quelle: „Zivilcourage“ von Klaus-Peter Hufer

Von Hans Klumbies