John Locke nimmt den Menschen unter die Lupe

Der Engländer John Locke (1632 – 1704) nimmt auf experimentalwissenschaftlicher und medizinischer Basis das Studienobjekt Mensch genauer unter die Lupe. Seine Forschungsobjekte: alles was sich bewegt. Sein Hauptinteresse: zu begreifen, wie die Mechanik der menschlichen Reaktionsweisen funktioniert. Er wollte erkennen, was es heißt, wenn einer denkt oder wenn einer denkt, er würde denken. Jürgen Wertheimer weiß: „Obwohl er an der Universität Oxford studierte und lehrte, blieb er nicht völlig dem Wissenschaftsbetrieb verhaftet. Er arbeitete als Lordkanzler, als Hausarzt, Erzieher und veröffentlichte während dieser Zeit ein umfangreiches Werk.“ Allerdings brachten John Locke seine Schriften nicht nur Ruhm ein. So wurde er aus dem Christ-Church-College ausgeschlossen. In Oxford beschuldigten ihn mehrere Professoren einer zweifelhaften Gesinnung. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

John Locke ist vom Unabhängigkeitsdrang beseelt

Die Universität Oxford weigerte sich lange, seine Werke in den Lehrplan aufzunehmen. Und einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Lebens verbrachte er im holländischen Exil. Eine harte, exzellente Schule. Jürgen Wertheimer stellt fest: „Aus seinem Land vertrieben, irrte er durch die verschiedenen Zufluchtsorte, verkehrte mit kritischen Geistlichen, Dissidenten, Heterodoxen. War ständig unterwegs, publizierte unablässig und verstand es, Resonanz hervorzurufen. Johne Locke suchte die Wirklichkeit, die Empirie war sein Labor.

Das geoffenbarte Wort als Richtschnur hatte ausgedient. Vom Beginn seiner geistigen Laufbahn an findet man denselben Unabhängigkeitsdrang, dasselbe Erneuerungsbedürfnis, nur für sich selbst zu denken, wie bei René Descartes. Und Fragen zu stellen, Fragen. Denn seine Methode ist keine Sache für Einsiedler. John Locke sieht sich als Beauftragten einer ganzen Epoche. Was ist Wahrheit? Gibt es angeborene Ideen oder programmiert sich der Mensch selbst? Ist das menschlicher Verhalten determiniert oder frei?

Weder Prinzipien noch Ideen sind angeboren

Bis in die Terminologie hinein stellt John Locke Fragen, welche die Menschen bis heute beschäftigen. Wobei bei ihm wie bei vielen Aufklärern das Primat der eigenen Wahrnehmung im Zentrum steht. John Locke nennt des Pudels Kern und kommt sofort zum Punkt: „Weder Prinzipien noch Ideen sind angeboren.“ Seine Argumentation ist schlüssig, provokant und diplomatisch zugleich. „Gott“ hätte es wohl kaum nötig, Menschen mit scharfen Sinnen auszustatten, wenn er ihnen bereits Farb- und Klanginformationen in die „Seele“ implantiert hätte.

Und wozu bräuchten sie ein reflexionsstarkes Gehirn, wenn ihm die Ideen bereits von Beginn an eingeschrieben wären. Jürgen Wertheimer ergänzt: „Kurz: Es gibt keine angeborenen, den Menschen göttlich oder sonst determinierenden Verhaltensmuster, Einstellungen oder Emotionen. Wohl aber sind wir optimal ausgestattet, um Sinne, Hirn und uns selbst zu programmieren.“ Der Vorteil von John Lockes These liegt auf der Hand. Wenn der Mensch Produkt seines eigenen Lernprogramms ist, hat er die Möglichkeit, an diesem Prozess aktiv teilzunehmen, ja ihn zu steuern und zu reflektieren. Somit kann er die eigene gesellschaftliche Rolle modellieren. Quelle: „Europa“ von Jürgen Wertheimer

Von Hans Klumbies