Die Polarisierung der Meinungen ist extrem

Es ist nicht zielführend, wenn man in der öffentlichen Diskussion und auch in den Medien immer häufiger extreme Standpunkte vernimmt. Hans-Jürgen Papier kritisiert: „Das hat teilweise verschwörungstheoretische Züge angenommen. Dies schlägt sich besonders in den Kommentarspalten und in den sozialen Medien nieder.“ Eine bemerkenswerte Wirkung hiervon ist die extreme Polarisierung von Meinungen und ihren Trägern. Diese sind oftmals nicht mehr in der Lage, über Argumente zu kommunizieren. An die Stelle demokratisch verfasster Auseinandersetzung treten dann schnell offen geäußerter Hass und unüberbrückbare Freund-Feind-Schemata. Das ist eine Entwicklung, die man seit den Hochzeiten der PEGIDA-Demonstrationen in Dresden kennt. Ein Teil der Social-Media-Nutzer wird zu Fans, zu Followern starker Männer und ihrer Systeme. Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2014 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

Einige Staaten preisen die „Illiberale Demokratie“

Das haben seit einigen Jahren viele Wortführer an den extremen Rändern der politischen Landschaft verstanden. Diese setzen für die Erreichung ihrer Ziele auf weitreichende Polarisierung. Ihnen allen ist gemein, dass sie die liberale Demokratie und ihre freiheitssichernde Funktion nicht sehr hoch einschätzen. Führende Politiker aus mit Deutschland eng verflochtenen Staaten wie die Türkei, aber auch in EU-Mitgliedsstaaten wie Polen oder Ungarn preisen seit einiger Zeit die von ihnen verfochtene „Illiberale Demokratie“.

Hans-Jürgen Papier erläutert: „Sie schränken die Verfassungsgerichtsbarkeit und Meinungsfreiheit zunehmend ein und inszenieren sich dabei als starke Führungsfiguren mit einfachen Antworten.“ Hemdsärmelig gehen sie die von ihnen selbst definierten Missstände an und geben vor, von ihnen als allgemeingültig behauptete Traditionen schützen zu wollen. Dabei sind ihre Regierungen demokratisch legitimiert und haben sogar teilweise Zweidrittelmehrheiten hinter sich. Der Wunsch nach Orientierung in einer unübersichtlich gewordenen Welt droht zum Einfallstor für populistische Ideen zu werden.

Demokratie ohne Rechtsstaatlichkeit ist nicht erstrebenswert

Die Anwendung und Durchsetzung geltenden Rechts für und gegen jedermann sowie die Unabhängigkeit der Justiz sind grundlegende Errungenschaften der freiheitlichen Ordnung. Sie ist seit dem Zweiten Weltkrieg die Basis für das Zusammenleben in Frieden und Wohlstand in Europa. Wer bereit ist, sie zu opfern, gibt damit wesentliche Elemente preis, die repräsentativen Demokratien und parlamentarischen Regierungssystemen ihre außerordentlich hohe Stabilität verliehen haben.

Hans-Jürgen Papier weiß: „Demokratie ohne Rechtsstaatlichkeit scheint dagegen kaum erstrebenswert.“ Denn eine Demokratie ohne rechtsstaatliche Kontrolle und Bindung würde auf lange Sicht unweigerlich in eine Herrschaft der gesellschaftlichen und politischen Mehrheit über die Minderheiten führen. Die Einzelnen wären nicht mehr sicher vor staatlicher Willkür. Und keine Instanz würde ihnen ihre einklagbare Freiheit garantieren, die in Deutschland nach dem Grundgesetz einklagbar ist. Selbst im Ursprungsland der modernen Demokratie, den Vereinigten Staaten, zeigte sich, was es für das gesellschaftliche Klima einer ganzen Nation bedeuten kann, wenn Standards von Rechtstaatlichkeit, demokratische Verfahren und Vernunft offensiv beschädigt werden. Quelle: „Freiheit in Gefahr“ von Hans-Jürgen Papier

Von Hans Klumbies