Joris Luyendijk ist nicht von den Kursmanipulationen überrascht

Der Londoner Anthropologe Joris Luyendijk hat in den vergangenen zwei Jahren 200 Interviews mit Bankern geführt, die in der City und in Canary Wharf, den Bankenvierteln von London, arbeiten. Der Völkerkundler hörte vor allem zu, schrieb die Sorgen und Wünsche der Banker auf, erforschte ihr Selbstverständnis. Dass Devisenhändler Kurse manipuliert haben sollen, überrascht Joris Luyendijk nicht. Er sagt: „Für viele ist das Finanzgeschäft ein Wettstreit, bei dem man manchmal auch unfair kämpft. Es ist ein Spiel.“ Trotz Kontrollen sollen sich Händler über Devisenorder abgesprochen haben. Das ist erstaunlich, denn eigentlich herrscht unter den Händlern ein scharfer Wettbewerb, sogar innerhalb der Banken. Der Anthropologe Joris Luyendijk lebt und arbeitet in London. Vorher war er unter anderem Nahost-Korrespondent für niederländische und belgische Medien.

Bei den Devisenhändlern steht der Ehrgeiz im Vordergrund und nicht die Gier

Den Devisenhändlern geht es vor allem darum, das meiste oder profitabelste Geschäft zu machen und damit in den Ranglisten ganz oben zu stehen. In einem Gespräch wurde Joris Luyendijk erzählt, dass ein Händler, dem Händler, der neben ihm saß, einen Praktikanten untergeschoben hat, der dessen Handelsstrategien ausspionieren sollte. Was die Absprachen unter den Währungshändlern sehr vereinfacht, ist das die verschiedenen Spezialgruppen sehr klein sind. Viele von ihnen waren auf derselben Hochschule, kennen sich als Ex-Kollegen oder Ex-Kommilitonen.

Wenn Devisenhändler gegen Verbote verstoßen, geht es ihnen dabei nicht um die Bezahlung oder irgendwelche Extra-Gewinne. Es ist für sie eher ein spielerischer Wettkampf. Joris Juyendijk erklärt: „Es geht um Ehrgeiz, nicht um Gier. Viele Banker waren früher erfolgreiche Sportler, sie sind auf Wettbewerb gepolt. Ziel ist es vor allem, besser zu sein als Rivalen. Dabei könnten verbotene Absprachen helfen.“ Joris Juyendijk hat in seinen Interviews immer wieder gehört, dass den Devisenhändler, wenn sie ein bestimmtes hohes Einkommen erst einmal erreicht haben, Geld nicht mehr so wichtig ist.

Viele Devisenhändler liefern sich eine Art Konsum-Wettbewerb

Joris Juyendijk hat in seinen Gesprächen auch festgestellt, dass manche Banker in London innerhalb von wenigen Jahren den Bezug zur Welt außerhalb der City verloren haben. Er beschreibt es wie ein Leben in einer Blase. Obwohl sich um ihr Einkommen keine Sorgen mehr machen müssen, arbeiten sie in ihrem Job so viele Stunden, dass sie kaum Freizeit haben. Sie sind deshalb die meiste Zeit mit Leuten zusammen, die wie sie selbst sind. Zwischen ihnen gibt es eine Art Wettbewerb in Konsumdingen: sie kaufen sich die edelsten Anzüge, die teuersten Uhren und schicken ihre Kinder auf die besten Schulen.

Die Blase ist für die Devisenhändler attraktiv. Für sie ist es das Tollste am Job, mit Leuten zusammen zu sein, die überwiegend unheimlich smart und ehrgeizig sind. Und eine Aufgabe zu haben, die ständig schnelle und präzise Entscheidungen erfordert. Aber diese abgeschottete Welt kann auch sehr unbarmherzig sein. Joris Luyendijk war überrascht, wie unsicher zum Beispiel die Jobs in London sind. Er erläutert: „Nach 20 Jahren in einer Bank werden sie innerhalb von fünf Minuten entlassen, sie können sich noch nicht einmal von Kollegen verabschieden, sondern werden von Sicherheitsleuten hinausbegleitet.“ Quelle: Süddeutsche Zeitung

Von Hans Klumbies