Die Normalverteilung ist ein vertrautes Muster

Das konventionelle Denken über Ungewissheiten basiert auf der Annahme, dass ungewisse Phänomene einem vertrauten Muster folgen. Dieses ist in der Natur häufig zu finden, nämlich als Normalverteilung. Jonathan Aldred erklärt: „So folgt zum Beispiel die Körpergröße von Menschen einer Normalverteilung.“ Es gibt eine typische Körpergröße, und die Anzahl der Menschen mit anderen Größen nimmt ab, je weiter man sich von diesem Durchschnittswert entfernt. Die Wahrscheinlichkeit, einem Menschen einer bestimmten Körpergröße zu begegnen, sinkt immer schneller, je weiter man sich von der Durchschnittsgröße entfernt. Abhängig davon, welche Annahmen man über die heutige Weltbevölkerung trifft, ist der Mensch im Durchschnitt etwa 1,67 Meter groß. Jonathan Aldred ist Direktor of Studies in Ökonomie am Emmanuel College. Außerdem lehrt er als Newton Trust Lecturer am Department of Land Economy der University of Cambridge

Extremereignisse heißen „Schwarze Schwäne“

An den beiden Enden der Normalverteilungskurve nimmt die Wahrscheinlichkeit von „unglaublich selten“ auf „praktisch nie“ ab. Ereignisse mit extremen Folgen, die völlig unerwartet auftreten, sind von Nassim Nicholas Taleb als „Schwarze Schwäne“ bezeichnet worden. Obwohl sie im Rückblick durchaus vorhersehbar aussehen können. Taleb ist ein Mathematiker und ehemaliger Hedgefondsmanager mit libanesischen Wurzeln. Das auf die Normalverteilung beruhende Denken geht im Wesentlichen davon aus, dass die Möglichkeit von Schwarzen Schwänen ignoriert werden kann, da sie nie auftreten werden.

Jonathan Aldred kritisiert: „Die globale Finanzkrise, die 2007 ihren Anfang nahm, hat Banken und ihre Aufsichtsbehörden keineswegs dazu veranlasst, ihr Normalverteilungsdenken aufzugeben.“ Und dies vor dem Hintergrund, dass die Ereignisse dieser Zeit schwerlich als noch nie da gewesene „Ausreißer“ abgetan werden konnten. Zwei Jahrzehnte zuvor, am 19. Oktober 1987, war der Aktienmarkt um beinahe 30 Prozent abgestürzt. Dieser Tag ging als „Black Monday“ in die Finanzgeschichte ein.

Unwahrscheinliche Ereignisse passieren immer wieder

Ereignisse, zu denen es laut Finanztheorie nie kommen wird, passieren immer wieder. Warum verlässt man sich nach wie vor auf diese Theorie? Die Vorstellung, dass man, obwohl man irgendeine Zahl noch nicht kennt, ihren durchschnittlichen oder typischen Wert schätzen kann, ist ebenso verlockend wie beruhigend. Und sicherlich sind außergewöhnlich niedrige oder hohe Zahlen sehr unwahrscheinlich. Denn sie würden eine Serie von außergewöhnlichen Gründen oder Ursachen erfordern, um herbeigeführt zu werden.

Diese Logik – der „gesunde Menschenverstand“ – stützt das Normalverteilungsdenken. Jonathan Aldred weiß: „Es gibt Situationen, in denen sie gut funktioniert. Erstens in der Natur, wenn immanente oder systemische Einschränkungen – etwa die Schwerkraft – große Extreme praktisch unmöglich machen.“ Es gibt beispielsweise grundlegende Merkmale des menschlichen Körperbaus, die erklären, warum noch nie ein Mensch drei Meter groß oder 150 Jahre alt geworden ist. Quelle: „Der korrumpierte Mensch“ von Jonathan Aldred

Von Hans Klumbies