Das menschliche Gehirn ist ganz besonders

In jahrhundertelanger Forschung hat sich das Gehirn als die „Hardware“ für die kognitiven Fähigkeiten des Menschen herausgestellt. Nun drängte sich eine andere Frage auf. Was macht ausgerechnet das menschliche Hirn so besonders? Jakob Pietschnig stellt fest: „Immerhin wusste man ja nicht erst seit dem 19. Jahrhundert, dass auch alle anderen Wirbeltiere eines besaßen.“ Dantes „Divina Commedia“, Kants „kategorischer Imperativ“ oder Einsteins „Relativitätstheorie“ waren jedoch menschliche Errungenschaften. Sie legten die berechtigte Vermutung nahe, dass es sich bei den Menschen doch um die intelligentesten Lebewesen des Planeten handelte. Sie waren in jedem Fall auch die flexibelsten. Kein anderes Lebewesen reagierte so gekonnt und so schnell auf seine Umwelt wie der Mensch. Jakob Pietschnig lehrt Differentielle Psychologie und Psychologische Diagnostik an der Universität Wien.

H. J. Jerison entwickelt den Enzephalisationquotienen

Wie ließ sich das nun mit den Eigenschaften des menschlichen Gehirns erklären? Die Antwort darauf war nicht so einfach. Es lag die Vermutung nahe, dass die Größe des Gehirns eine Rolle für die Intelligenz seines Besitzers spielte. Und weil dies eine gar so bequeme Schlussfolgerung ist, begegnet sie der Forschung im Verlauf der Geschichte immer wieder. Johann Wolfgang von Goethe hatte den vermeintlichen Schädel Friedrich Schillers für etwa ein Jahr in seinem Haus aufbewahrt. Er widmete ihm das Gedicht „Bei Betrachtung von Schillers Schädel“.

Die Unterschiede verschiedener Spezies der Gehirngröße wurde systematisch betrachtet. Dabei kam man selbst vor Jahrhunderten zu dem Ergebnis, dass der Mensch bestenfalls mit einem Platz im oberen Viertel des Größenrankings rechnen kann. An der Spitze stünde in diesem Fall der Blauwal. Erst 1973 schien das Problem endlich gelöst, als H. J. Jerison, ein Forscher aus Kalifornien, den sogenannten Enzephalisationquotienen vorschlug. Durch die Formel EQ = Hirngröße in cm3/ (0,12-mal Körpergewicht in Gramm 0,67 lässt sich tatsächlich eine Rangreihe erstellen, bei der der Mensch an der Spitze steht.

Die Zellen sind die Arbeitseinheiten des Gehirns

Es war nur leider so, dass die Formel einen winzig kleinen Schönheitsfehler hatte. Weder die Werte 0.12 noch 0.67 waren theoretisch sinnvoll abgeleitete Zahlen. Sondern sie hatten sich schlicht aus empirischen Ableitungen ergeben, gewissermaßen aus Zahlenspielereinen, die zum Ziel gehabt hatten, das erwünschte Ergebnis zu erreichen. Jakob Pietschnig erklärt: „Man kann H. J. Jerison nicht vorwerfen, sich unlauterer Methoden bedient zu haben. Schließlich hat er ja alles in seiner Publikation zum Enzephalisationquotienen transparent gemacht.“

Erfreulicherweise scheinen neuere Entwicklungen einen Weg aus der Sackgasse zu weisen. Erst unlängst entwickelte die brasilianische Neurowissenschaftlerin Suzana Herculano-Houzel, eine Methode zur Zählung von Hirnzellen. Jakob Pietschnig weiß: „Diese sind quasi die Arbeitseinheiten unseres Gehirns; je mehr, desto besser.“ Auf diese Idee hätte man auch schon früher kommen können, und das war man ja auch. Es gab bis dato einige vielversprechende Wege – etwa das Zählen von Zellkernen in fein geschnittenen Scheiben Hirngewebes –, die insgesamt jedoch nicht gut funktioniert haben, weil sie zu aufwendig, zu teuer und zu ungenau waren. Quelle: „Intelligenz“ von Jakob Pietschnig

Von Hans Klumbies