Jedes Selbst braucht für sich die richtige Welt

Im Leben geht es nicht nur darum, ein gutes Selbst zu finden, sondern dieses Selbst möchte zu gern auch in einer ihm angemessenen Außenwelt unterwegs sein können – einer Welt, in der es sich selbst entsprechend entfalten kann. Ina Schmidt weiß: „Aber da treffen wir erneut auf eine besondere Schwierigkeit – denn ebendieses Selbst ist ja nur unseres und damit individuell und originär, es braucht also eine Welt, die nur für uns die richtige ist.“ Denn auch, wenn ein Mensch gern in vielen äußeren Merkmalen und Symbolen das Erreichen eines vermeintlich objektiv guten Lebens festzuschreiben versucht, sieht er doch, wie vielfältig das ist, was Menschen für sich als ein gutes Leben festlegen. Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

Beim Nachdenken über das Selbst scheint es zu zerfallen

Die moderne Suche nach sich selbst ähnelt dem Experiment, in dem ein Chamäleon in einem Spiegelkabinett den unmöglichen Versuch unternimmt, sich seiner Umgebung anzupassen. Im Vergleich zu einem Chamäleon stehen einem Menschen allerdings andere Möglichkeiten zur Verfügung, um das Umfeld, in dem er lebt, zu sich selbst in Beziehung zu setzen, und darüber hinaus verfügt er über ein Bewusstsein, mit dem er diese Beziehungen reflektieren kann.

Sobald man allerdings anfängt, über das Selbst nachzudenken, scheint es zu zerfallen, in Facetten, in Aspekte, in körperliche, geistige und seelische Zuschreibungen, die jede für sich einen philosophischen Ausflug wert ist. Was aber genau meint man, wenn man „Selbst“ sagt? Wenn es das Selbst nicht gibt, wie es einen Gegenstand oder eine Substanz gibt, dann gibt es aber doch offenbar etwas, was dem Begriff, dem Wort entspricht und was man anscheinend mühelos verstehen kann, wenn man sich darüber austauscht.

Ina Schmidt stellt den Theorie des Selbstkonzepts vor

Manchmal ist es hilfreich, den psychologisch geprägten Begriff des „Selbstkonzepts“ anzuwenden, ein Selbstbild, das jedes Kind im Alter von etwa zwei Jahren zu entwickeln beginnt. Ina Schmidt erläutert: „Grundlegend dafür sind die eigenen Erfahrungen und damit verbundenen Erinnerungen, die innerlich zu einem erkennbaren Muster verbunden werden: ein Bild, das wir wiederzuerkennen imstande sind – angefangen beim eigenen Spiegelbild (ein Vorteil, den wir offenbar schon sehr früh dem Chamäleon voraushaben).

In dieser Spiegelung erkennt das Kind etwas, das es als „ich“ erlebt und erfahren hat und das es als sein „Selbst“ beschreiben kann. Diese Erlebnisse werden im Zuge der eigenen Lebensdauer verständlich mehr, komplexer und vielfältiger, und das gilt entsprechend für das eigene Selbstbild. Im Alter eines Kleinkindes besteht es aus sehr konkreten Eigenschaften, die sich beobachten lassen, so wie die Augenfarbe oder die Tatsache, dass man sich als Junge oder Mädchen erlebt. Im Laufe des Lebens kommen Gedanken, Überzeugungen, ethische Setzungen und kulturelle Prägungen hinzu, die das eigene Selbstbild immer weiter verfeinern. Quelle: „Das Ziel ist im Weg“ von Ina Schmidt

Von Hans Klumbies