Ein Großteil der Deutschen blickt voller Angst und Sorge in die Zukunft

Wer versucht, ein aktuelles Stimmungsbild der Deutschen zu zeichnen, stößt schnell auf ein Paradox: Von außen betrachtet, geht es Deutschland – im Vergleich zu anderen Ländern – erstaunlich gut. Ulrich Schnabel erklärt: „Die Menschen leben seit Jahrzehnten in Frieden, die Wirtschaft brummt, ihr Land ist sicherer, demokratischer und wirtschaftlich stärker als die meisten anderen Staaten. Sie genießen eine hohe Lebenserwartung und können sich über einen Wohlstand freuen, von dem viele andere Menschen auf diesem Planeten nur träumen.“ Von „Cool Germany“ schwärmte selbst der sonst so kritische „Economist“. Deutschland sei „facettenreich, offen, informell und hip“, schrieb die einflussreiche britische Wirtschaftszeitung und sah darin sogar ein „Modell“ für andere westliche Länder. Ulrich Schnabel ist seit über 25 Jahren Wissenschaftsredakteur bei der ZEIT.

Die kollektive Stimmung einer Nation wird von vielen Faktoren beeinflusst

Betrachtet man Deutschland jedoch von innen, scheint die kollektive Gemütslage düsterer denn je. Ein Großteil der Bürger blickt voller Angst und Sorge in die Zukunft. Und wer nicht nur Wirtschaftszeitungen liest, sondern auch andere Stimmen zur Kenntnis nimmt, dem tritt ein ganz anderes Deutschland entgegen. „Das Land ist von einer Unruhe befallen, die bereits Züge von Paranoia und Panik trägt“, kann man etwa im Feuilleton der ZEIT lesen. „Der Zukunftsoptimismus ist steil zurückgegangen“, diagnostiziert das Allensbach Institut, das den Deutschen regelmäßig den Stimmungspuls fühlt.

„Das soziale Klima in Deutschland ist geprägt von Gefühlen der Ohnmacht und Orientierungslosigkeit, von Überforderung und Überreizung“, schließt das Frankfurter Zukunftsinstitut aus seinen Studien, und der Soziologe Heinz Bude, der hauptberuflich Stimmungslagen erforscht, erklärt: „Vor allem ein Gefühl bestimmt derzeit die Stimmung in Deutschland, aber auch in allen anderen westlichen Nationen: die Angst.“ Wie kann das sein? Die kollektive Stimmung einer Nation wird von vielen Faktoren beeinflusst, und die Gründe für Donald Trumps Erfolg in den USA sind nicht einfach dieselben, die in Deutschland den Aufstieg der AfD erklären.

Das menschliche Gefühlsleben stellt immer Vergleiche an

Ein paar Grundmuster lassen sich allerdings herausarbeiten, und diese haben vor allem mit den Eigenheiten des emotionalen Erlebens eines Menschen zu tun. Ulrich Schnabel weiß: „Denn dieses hängt nicht an der Größe wirtschaftlicher Kennziffern, sondern an der subjektiven Wahrnehmung der Menschen. Und die folgt ganz anderen Gesetzen als die Statistik.“ Ein Grundzug des menschlichen Gefühlslebens ist die Tatsache, dass es immer komparativ ist.

Das heißt: Gefühle orientieren sich nicht an absoluten Fakten, sondern stets im Vergleich zu anderen Situationen oder anderen Menschen. Deshalb schätzt man neue, unbekannte Gefahren als sehr viel höher ein als bekannte Risiken – selbst wenn das Vertraute mehr Opfer fordert und de facto viel gefährlicher ist. Doch solche objektiven Tatsachen sind dem Emotionshaushalt eines Menschen ziemlich egal. Ihm geht es vor allem um den Vergleich: Als wichtig wahrgenommen wird das, was sich verändert. Quelle: „Zuversicht“ von Ulrich Schnabel

Von Hans Klumbies