Menschen müssen täglich Entscheidungen treffen

In die „Freiheit geworfen“ wie es bei Jean-Paul Sartre heißt, ist der Mensch ständig gefordert, Entscheidungen zu treffen. Und egal, was er tut, es geht weiter und weiter. Ina Schmidt ergänzt: „Wir haben die Wahl, in den großen Fragen wie in den ganz normalen Alltäglichkeiten. Täglich entscheiden wir uns viel Hundert Mal, selbst wenn wir es nicht immer bemerken.“ In einer Welt voller Möglichkeiten jagt eine Entscheidung die nächste. Und wie man damit umgeht, hängt vielfach davon ab, welche Perspektive man einnimmt, wenn man auf diesem Grat des Möglichen entlangwandert. Es geht Ina Schmidt nicht darum, die Inhalte von Entscheidungen auf den Prüfstand zu stellen. Sondern sie denkt darüber nach, was ein Mensch eigentlich tut, wenn er eine Wahl trifft. Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

Rückzug von einer Entscheidung ist ebenfalls eine Wahl

Wenn man nach einer Definition sucht, was eigentlich eine Entscheidung ist, stößt man auf Beschreibungen wie diese: „Eine Entscheidung ist ein ethisch-politischer Terminus zur Bestimmung des einer Handlung unmittelbar vorhergehenden Entschlusses beziehungsweise Beschlusses. Handlungen, die in einem alternativen Horizont stattfinden, werden durch Entscheidungen gelöst.“ In solch wenig einladenden Sätzen wird eine bewusste Handlung beschrieben. Diese lässt einen Menschen mindestens zwischen zwei Möglichkeiten wählen.

Dabei hat der Mensch die Hoffnung, dass eine Frage beantwortet, ein Konflikt gelöst, ein Wunsch erfüllt ist, wenn er sich für die eine und gegen die andere Möglichkeit entscheidet. Denn sobald ein Individuum etwas entscheidet, verwirklicht es etwas und schließt etwas anderes aus. Das klingt wie eine Lösung. Aber derzeit scheint es auch vielfach ein Teil eines Problems zu sein. Vielleicht findet man morgen noch eine perfektere Lösung. Also erst mal nicht entscheiden? Auch das ist eine Entscheidung. Denn wenn mehrere Dinge zur Auswahl stehen, ist der Rückzug ebenfalls eine Wahl.

Weniger Auswahl macht das Leben leichter

Das, was einen Menschen dazu nötigt, eine Wahl zu treffen, ist die Tatsache, dass die Welt ziemlich komplex ist. Dies hebt der Systemtheoretiker und Soziologe Niklas Luhmann hervor: „Unter Komplexität wollen wir verstehen, dass es stets mehr Möglichkeiten gibt, als aktualisiert werden können. […] Komplexität heißt also praktisch Selektionszwang“. Auf die Freiheit, überhaupt entscheiden zu können, will ein Mensch sicher nicht verzichten. Denn in jeder Möglichkeit liegt vielleicht eine kostbare Chance, eine einmalige Gelegenheit. Und man will doch die Freiheit, sie zu gestalten.

Denn auch wenn es unglaublich interessant sein mag und der amerikanische Psychologe Barry Schwartz das „Angebot“ zum Dogma der westlichen Welt erklärt hat, dann ist es auch nicht unwichtig, den Umfang dieses Angebots mit zu beurteilen. Jede Wahl fällt selbstverständlich leichter, wenn die Alternativen nicht ins Unermessliche steigen. Denn: Je mehr zur Auswahl steht, desto größer ist auch die Chance danebenzugreifen. Das Leben wäre also deutlich einfacher, wenn weniger zur Auswahl stände. Quelle: „Das Ziel ist im Weg“ von Ina Schmidt

Von Hans Klumbies