Die Demokratie lebt vom Pflichtgefühl der Bürger

In seinem neuen Buch „Über die Pflicht“ zeigt Richard David Precht auf, welche Pflichten der Staat gegenüber seinen Bürgern hat. Und er diskutiert, was im Gegenzug die Pflichten des Einzelnen im Hinblick auf die Gesellschaft sein sollten. Dabei stellt er eine entscheidende Frage ins Zentrum: „Wie können wir unser Pflichtbewusstsein und unser Verantwortungsgefühl stärken?“ Denn das sind Haltungen, deren eine liberale Demokratie so dringend bedarf. Diese Frage führt jedoch auch ein Dilemma vor Augen. Auf der einen Seite sind die Menschen darauf konditioniert, egoistische Konsumenten zu sein. Auf der anderen Seite braucht der Staat zu seinem Funktionieren genau das Gegenteil, nämlich solidarische Staatsbürger. Könnte es da nicht hilfreich sein, das Pflichtgefühl der Bürger in der liberalen Demokratie durch zwei Pflichtjahre fest zu verankern? Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

Pflicht bedeutet Fürsorge und Obhut

Als politisch interessierter Philosoph beschäftigt Richard David Precht vor allem eins: „Wie werden Rechte und Pflichten, seit jeher ein großes Thema der Philosophie, heute wahrgenommen?“ Das Wort „Pflicht“ hat seinen Ursprung im alt- und mittelhochdeutschen und bedeutet Fürsorge und Obhut. Es handelt sich dabei um die Teilnahme und den Dienst an der Gemeinschaft, die als ein hohes Gut angesehen wird. Die Pflicht ist, wie Friedrich Nietzsche sagt, „das Recht der anderen auf uns“.

Pflichten zu haben und anderen verpflichtet zu sein ist für Richard David Precht kein Relikt einer vormodernen Zeit. Dabei sind Pflichten keine Dinge, die man vor sich herträgt, sondern man trägt sie in sich als Teil einer Haltung. Seit dem 19. Jahrhundert verpflichtet sich der Staat mehr und mehr dazu, das Glück seiner Bürger zu mehren. Die Grundrechte erscheinen dabei als Teil eines feinen Gespinsts von Rechten und Pflichten sowohl auf der Seite des Staates als auch auf der der Bürger.

Jedes Handeln hat etwas mit Pflichtgefühl zu tun

Kein Bereich des Lebens kann von Verpflichtung frei sein. Für den römischen Politiker und Philosophen Marcus Tullius Cicero war es noch selbstverständlich, dass jedes Handeln etwas mit Pflicht und Pflichtgefühl zu tun hatte: „Was auch immer ich tue, ehrenhaftes Verhalten muss von schändlichem Verhalten getrennt werden.“ Und hat man einmal für sich erkannt, was genau man für achtenswert hält, so sollte man sich als Leitfaden daran orientieren. Der moralisch denkende Mensch verpflichtet sich selbst, seiner Überzeugung treu zu sein.

Ein demokratisch funktionierendes Gemeinwesen lebt vom Engagement, sei es in Parteien, Verbänden, gemeinnützigen Organisationen oder durch private Hilfe. Je freiheitlich und demokratischer eine Gesellschaft sein möchte, umso stärker ist sie auf die Partizipation ihrer Bürger angewiesen. Wenn alle ein Maximum an Freiheit bei einem Minimum an Pflichtgefühl leben, steuert die Demokratie in den Zustand der Unregierbarkeit, in die Anomie. In einer solchen Lage ist es für Richard David Precht naheliegen, über die üblichen Bürgerpflichten in Deutschland neu nachzudenken.

Von der Pflicht
Eine Betrachtung
Richard David Precht
Verlag: Goldmann
Gebundene Ausgabe: 173 Seiten, Auflage: 2021
ISBN: 978-3-442-31639-7, 18,00 Euro

Von Hans Klumbies