Der französische Denker Henri Bergson hat in seinem Werk „Schöpferische Entwicklung“ (1907) lange vor den maßgeblichen Erkenntnissen der Neurowissenschaften eine Philosophie des „Lebens“ entwickelt, in der er das Zusammenspiel von Intellekt und Intuition um den menschlichen Instinkt erweiterte. Der Instinkt ist nach Henri Bergson die Instanz, die das Material der persönlichen Erfahrungen, Erlebnisse und der Art und Weise, wie man diese wahrnimmt, bestimmt. Ina Schmidt ergänzt: „Er ist nicht an Zwecke oder Erkenntnisse gebunden, sondern beschreibt die unmittelbare Form der Wahrnehmung, die wir als Menschen haben. Dem Instinkt ist eigen, dass wir ihm folgen, ohne darüber nachzudenken beziehungsweise ohne logisch nachvollziehbare Gründe dafür angeben zu können.“ Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.
Bestimmte Dinge kann der Intellekt niemals allein finden
So eröffnet der Instinkt Zugänge zu Handlungsoptionen, die dem Verstand verschlossen bleiben. Henri Bergson vertritt die These, dass der menschliche Instinkt Zugang zu den Bereichen hat, die der Intellekt benötigt, um Fragen formulieren zu können, die der Instinkt schlicht nicht stellt. So schreibt er: „Es gibt Dinge, die einzig der Intellekt zu suchen vermag, die er jedoch aus sich selbst heraus niemals finden wird. Diese Dinge finden könnte nur der Instinkt: Er aber wird sie niemals suchen.“
Entsprechend stünden sich diese beiden menschlichen Qualitäten – Instinkt und Intellekt – wie Gegner beziehungsweise Gesprächspartner ohne gemeinsame Sprache gegenüber, wäre da nicht die Möglichkeit eines intuitiven Zugangs zu den Erfahrungen des Instinkts. Nach Henri Bergson ist es die Aufgabe der Intuition, den Prozess des Werdens verständlich zu machen, dem sich der Instinkt vorbehaltlos öffnet, der aber als solcher thematisiert werden muss, um dem Menschen für spätere Handlungen zu nützen.
Die Intuition bringt den Instinkt und den Intellekt miteinander ins Gespräch
Nur so gelinge laut Henri Bergson ein Verstehen von Entwicklung und Veränderung, die auch die Leistungen des Intellekt selbst als Teil des Lebensprozesses beschreibt: Überzeugungen, die man für felsenfest sicher hält, ändern sich aufgrund neuer Maßstäbe oder Umstände. Henri Bergson beschreibt die Intuition also als die vermittelnde Instanz, die Instinkt und Intellekt ins Gespräch bringen kann. Die Intuition ist zudem gleichsam die menschliche Begabung, die Wirkungsweise innerhalb eines komplexen Zusammenhangs zu „erschauen“.
Nimmt man diesen Dreiklang zwischen Intellekt, Institution und Instinkt ernst, verändert sich der übliche Zugang zu dem, was man glaubt, tun oder wissen zu müssen, um gute Entscheidungen treffen zu können. Sofern man sich also bewusst und mithilfe des Verstandes auf die „Zusammenarbeit“ von Instinkt, Intuition und Ratio einlässt, entsteht ein anderes Verhältnis zur Welt, das sich eher in der Bewegung, im Prozess – also letztlich in der Suche – wiederfindet und nicht darauf angewiesen ist, in letzten Antworten einen Beweis für die Richtigkeit des eigenen Handelns zu erlangen. Quelle: „Das Ziel ist im Weg“ von Ina Schmidt
Von Hans Klumbies