Bei dem „Handbuch der Menschenkenntnis“ handelt es sich um eine Anthologie großer Denker, Forscher und Spötter. Es enthält Beiträge von Aristoteles über Charles Darwin bis zu Eckart von Hirschhausen. Der Leser begibt sich auf eine Tour durch 2500 Jahre Menschheitsgeschichte. Von jeher versucht der Mensch, das Tun und Lassen seiner Artgenossen zu ergründen, ihre Motive und Ziele zu verstehen, wie sie denken und fühlen. Von der Viersäftelehre, Charakterkunde und Physiognomik zur Persönlichkeitsforschung, von den Anfängen der Weltliteratur bis heute führt Georg Brunolds Streifzug durch die Menschenkunde, in der man nicht nur Erstaunliches über seine Mitmenschen kennenlernt, sondern auch Hochpraktisches über den Umgang mit ihnen und sich selbst. Georg Brunold ist promovierter Philosoph. Er war Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) und hat aus über 80 Ländern dieser Welt berichtet.
Misstrauen und Argwohn haben sich in der Evolution bewährt
In seinem Vorwort schreibt Georg Brunold, dass es in Sachen Menschenkenntnis sehr oft eines Stolpersteins bedarf, um einem Menschen einen seiner vielen kleinen Lernschritte aufzunötigen. Gegen eine Täuschung, falls deren Aufklärung erwünscht oder wenigstens zugelassen ist, handelt man sich oft eine Enttäuschung ein. Bei angenehmen Überraschungen ist der Lerneffekt gewöhnlich leider weit geringer. Es muss damit zu tun haben, da Misstrauen und Argwohn sich in der Evolution bis heute bewährt haben.
Georg Brunold weist darauf hin, dass der Fundus aus dem das „Handbuch der Menschenkenntnis“ schöpft, die europäische Kulturgeschichte ist. Als Herausgeber dieser Sammlung sieht es sich als Menschenfreund und Optimist, eingedenk der Regel, dass das Beste nur hoffen darf, wer auch das Schlimmste zu befürchten versteht: „Welch hohe oder betrübliche Meinung wir vom Menschen haben sollen und dürfen, bleibt hier unentschieden, und dies schon darum, weil es den Menschen nicht gibt.“
Das Menschsein fängt mit dem Selbstbewusstsein an
Gut und Böse lernt man mit Individuen kennen, und in unterschiedlichen Mischverhältnissen haben fast alle von beidem in sich, was bei unterschiedlichen Gelegenheiten in unterschiedlicher Weise nach außen tritt. Für Homer, der um 700 v. Chr. lebte, fängt das Menschsein mit dem Selbstbewusstsein an. Und, wenn dieses dazu taugt und das Wagnis eingegangen wird, mit Selbstbestimmung. Für Epikur, um 300 v. Chr., ist von allen Gütern, welche die Weisheit sich zur Glückseligkeit des ganzen Lebens zu verschaffen weiß, bei weitem das größte die Fähigkeit, sich Freunde zu erwerben.
Heutzutage tragen Bücher Titel wie „Die empathische Zivilisation“ (Jeremy Rifkin, 2011). Einfühlung wird oft unbedacht mit Mitgefühl gleichgesetzt, mit Mitleid und Anteilnahmen. Dieser Irrtum ist keineswegs harmloser Art. Folterknechte und andere Sadisten können durchaus einfühlsame Gemüter sein, mit feinem und zielsicherem Sensorium obendrein. Für sich allein genommen, ist Empathie eine moralisch neutrale Errungenschaft. Empathie für Opfer von Unglück, Elend und Verbrechen, die Mitgefühl und Anteilnahme einschließt, ist allerdings in der Tat eine unschätzbare zivilisatorische Errungenschaft.
Handbuch der Menschenkenntnis
Mutmaßungen aus 2500 Jahren
Georg Brunold (Hg.)
Verlag: Galiani Berlin
Broschierte Ausgabe: 416 Seiten, Auflage: 2019
ISBN: 978-3-44686971-218-5, 25,00 Euro
Von Hans Klumbies