Am 13. März 1933 wurde über dem Frankfurter Rathaus die Hakenkreuzfahne gehisst. Am selben Tag schloss die Polizei das Institut für Sozialforschung. Lediglich zwei Jahre nach der Antrittsvorlesung Max Horkheimers, in welcher er die multidisziplinäre Ausrichtung der Arbeit am Institut dargelegt hatte, aus der sich die Kritische Theorie entwickeln sollte, wurden er und seine Institutskollegen ins Exil gezwungen. Stuart Jeffries stellt fest: „Erich Fromms Ergebnis seiner Forschungen über die deutsche Arbeiterklasse hatte sich bestätigt: Was den Widerstand gegen Adolf Hitler betraf, war mit den deutschen Arbeitern nicht zu rechnen.“ Warum hatte der Faschismus in Deutschland triumphiert? An Theorien dazu gab es keinen Mangel, und tatsächlich sollte die Frage zu einer tiefen Spaltung der Frankfurter Schule führen. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.
Deutsche Kleinbürger waren die eifrigsten Unterstützer Adolf Hitlers
Für Erich Fromm gab es zwei Schlüsselfaktoren: die ökonomische Rückständigkeit Deutschlands und Sadomasochismus. Er machte diesbezüglich deutlich, dass beim Übergang Deutschland vom frühen Kapitalismus zum Monopolkapitalismus der soziale Charakter der unteren Mittelschicht bestehen geblieben sei, seine ökonomische Funktion also überlebt habe. Diese Klasse, die für die frühere Form des Kapitalismus im 19. Jahrhundert bestimmend gewesen war und über die Karl Marx geschrieben hatte, sollte im Monopolkapitalismus wirtschaftlich und politisch machtlos, also überflüssig werden.
In Deutschland war das allerdings nicht passiert. Obwohl die Charakterzüge dieser Klasse – Sparsamkeit und Pflichtbewusstsein – mit modernen Formen kapitalistischer Produktion unvereinbar waren, überlebten sie in Deutschland in erstaunlichem Umfang. Und diese deutschen Kleinbürger stellten sich damals als die eifrigsten Unterstützer Adolf Hitlers heraus, weil, so Erich Fromms Formulierung, „der Wunsch nach Autorität auf den starken Führer gelenkt wird, wohingegen andere spezifische Vaterfiguren zu Objekten der Rebellion werden“.
Die Anhänger der Nazis betrachten Armut und Tod als ihre höchsten Pflichten
Dass die Unterstützer des Nationalsozialismus Sadomasochisten wären, die sich von autoritären Vaterfiguren den Verstand vernebeln ließen, war eine Auffassung, die viele Mitglieder der Frankfurter Schule teilten. Herbert Marcuse hebt ins einem Essay „Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung“ hervor, dass die Nazis durch die Fetischisierung von Blut und Boden, von Rasenreinheit, Heimat und Führer auf perfide, geniale Wiese ihre sadomasochistischen Anhänger dazu drängten, Armut und Tod für ihr Land als ihre höchsten Pflichten bereitwillig anzunehmen.
Stuart Jeffries erklärt: „Herbert Marcuse hatte sich aufgrund einer zweieinhalbstündigen Rede Hitlers genötigt gefühlt, diesen Text zu verfassen. Adolf Hitler hielt diese Rede vor einer Versammlung von Industriellen in Düsseldorf im jahr 1932. Marcuse zeigt, dass die Rede exemplarisch den Eintritt des Monopolkapitalismus in eine neue Ära zum Ausdruck brachte, eine Ära, in der der totalitäre Staat und sein ideologischer Apparat den Kapitalismus gegen die Krisen verteidigen sollten, für die er anfällig gewesen war, nicht zuletzt währen der deutschen Inflation der 1920er Jahre und nach dem Zusammenbruch der New Yorker Börse im Jahr 1929 mit seinen globalen deflationären Auswirkungen. Quelle: „Grand Hotel Abgrund“ von Stuart Jeffries
Von Hans Klumbies