Fortschritt ist ein zweischneidiges Schwert

Der Medienethiker Paul Virilio prognostiziert in seinen Essay „Rasender Stillstand“ die Auslöschung der menschlichen Zivilisation durch deren erfundene Technologien. Rüdiger Maas weiß: „Virilio ist dabei aber kein Technologiekritiker. Ganz im Gegenteil. Die Folgen des technologischen Fortschritts betrachtet er als positiv, nur wurden die Heilsversprechen um positiven technologischen Folgen zur Propaganda.“ Das Problem dabei ist, dass man bei all den Versprechen der permanenten technologischen Weltverbesserung die negativen Folgen der Technologie außer Acht lässt. Denn Fortschritt ist ein zweischneidiges Schwert. Oder wie es Virilio ausdrücken würde: „Die Erfindung des Schiffs war gleichzeitig die Erfindung des Schiffwracks.“ Der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa fordert von den Menschen daher Entschleunigung. Rüdiger Maas studierte in Deutschland und Japan Psychologie. Er ist Gründer und Leiter eines Instituts für Generationenforschung.

Immer mehr Menschen entfremden sich von der Welt

Hartmut Rosa hat eine „Theorie der Resonanz“ formuliert, die beschreibt, wie gesellschaftliche Bedingungen gestaltet sein müssen, damit sich resonante Beziehungen einstellen. Also eine Form von gelingenden Beziehungen zwischen Menschen und ihrer Umwelt. Das Versprechen der ständigen Verbesserung sowie die Steigerungslogik führen zu einer Beschleunigung von Leistung, Innovation und immer mehr materiellen Produkten. Dadurch entfremdet man den Menschen von der Welt.

Rüdiger Maas erklärt: „Dieser Zwang zur Beschleunigung verhindert über die Entfremdung resonante Erfahrungen, die Menschen und Umwelt oder Körper und Seele eines Menschen in Einklang bringen würden.“ Nicht umsonst verbindet man die digitale Welt oft mit Metaphern von Robotern ohne Gefühle. Weniger digitale Kommunikation, weniger Güter, weniger Überfluss wäre nach Meinung von Paul Virilio und Hartmut Rosa mehr. Heute dagegen entwickelt sich alles zum Leistungssport, wenn auch auf die Gefahr hin, dass er zirkulär in Erscheinung tritt.

Die intensive Nutzung des Smartphones kann eine Sucht auslösen

Wie in einem Stadion laufen viele Menschen in Kreisbahnen, ohne wirklich voranzukommen. Rüdiger Maas erläutert: „Wir könnten oft abkürzen, wenn wir einfach quer über den Rasen liefen oder außerhalb der gedachten Tartanbahn denken würden. Aber vor lauter Kreisbahnenlaufen kommen wir erst mal nicht auf die Idee des Abkürzens. Für eine solche Idee bedarf es eines Innehaltens und Überblick-Bewahrens.“ In den USA haben etwa 80 Prozent der Kleinst- und Kleinkinder ein internetfähiges Smartphone zur Verfügung.

In Deutschland dürften 70 Prozent der Kinder im Alter von zwei bis drei Jahren täglich mindestens eine halbe Stunde das Smartphone ihrer Eltern benutzen. Etwa acht Prozent der Kleinkinder besitzen ein eigenes Smartphone. Bei den Achtjährigen ist es schon jedes dritte Kind und bei den Zehnjährigen sind es dann 75 Prozent. Rüdiger Maas blickt voraus: „In naher Zukunft werden die meisten Kindergartenkinder ein eigenes Smartphone besitzen.“ Jedenfalls aber kann die intensive Nutzung des Smartphones eine Sucht auslösen. Nämlich eine sogenannte stoffgebundene Sucht. Quelle: „Generation lebensunfähig“ von Rüdiger Maas

Von Hans Klumbies