Die Wahrnehmung bestimmt die Ursache

Die Kausalität in der Welt der Lebewesen unterscheidet sich fundamental von der Kausalität in der Welt der klassischen Physik. Wenn man bei Lebewesen von Kausalität spricht, muss einem klar sein, dass man es dabei immer mit dreierlei zu tun hat. Erstens mit einer Ursache, zweitens mit einem Vorgang der Wahrnehmung und drittens mit einer Wirkung. Dabei bestimmt die Wahrnehmung überhaupt erst, was wann in welchem Maße und in Hinsicht auf welche Wirkung relevant, das heißt Ursache sein kann. Fabian Scheidler fügt hinzu: „Und diese Wahrnehmung kann zu verschiedenen Zeitpunkten eine vollkommen andere sein.“ Nun haben klassische naturwissenschaftliche Gesetze aber die Form „Immer wenn X, dann Y“. Vorgänge, auf die solche Aussagen passen, spielen sich natürlich auch in lebenden Organismen ab. Der Publizist Fabian Scheidler schreibt seit vielen Jahren über globale Gerechtigkeit.

Der Mensch entspricht keinem mechanischen Universum

Aber solche Immer-wenn-dann-Relationen sind nicht das, was für Lebendiges charakteristisch ist, was Leben als Leben ausmacht. Daher sind Versuche unternommen worden, Leben nicht als klassisches physikalisch-chemisches Geschehen zu verstehen. Nämlich als Bedeutungsgefüge. Fabian Scheidler weiß: „Der relativ junge Forschungszweig der Biosemiotik etwa betrachtet alle Lebensprozesse als Zeichensysteme.“ Der Stoff, aus dem Menschen bestehen, entzieht sich in mehrfacher Hinsicht den Vorstellungen eines mechanischen Universums.

Schon in unbelebtem Zustand entsprechen die Atome und Moleküle des menschlichen Körpers nicht dem Bild einander stoßender Billardkugeln. Sondern sie bilden eher ein Netzwerk von schwingenden Energiefeldern. Dort, wo sich diese Felder als Leben organisieren, verändert sich ihr Verhalten noch einmal radikal. Was von außen dazukommt, wird nicht durch einfachen Energieaustausch resorbiert oder abgestoßen. Sondern es kann hochkomplexe selbstorganiserte Prozesse auslösen. Mit anderen Worten: Der Stoff, selbst schon kein Ding, sondern ein Prozess, verwandelt sich zu etwas noch Unstofflicherem, nämlich zur Nachricht.

Die Welt besteht aus einer Innen- und Außenperspektive

Wenn man Bedeutung und Wahrnehmung nur von außen beschreibt, reicht das bei Weitem nicht aus, um zu verstehen, was Leben ist. Fabian Scheidler betont: „Denn die Bedeutung ist für uns oft auch mit einem inneren Erleben verbunden. Die Freude, die wir empfinden, wenn wir einen geliebten Menschen wiedersehen. Die Wut, die in uns aufsteigt, wenn uns eine Ungerechtigkeit widerfährt.“ All dies sind besondere Erlebnisqualitäten, die von einer rein äußerlichen Beschreibung nicht erfasst werden können.

Das Besondere an der primären Wirklichkeit besteht darin, dass jeder Mensch unmittelbar nur zu seiner eigenen Wahrnehmung Zugang hat. Sie ist von außen nicht einsehbar. Fabian Scheidler erklärt: „Ich kann nicht direkt durch die Augen eines anderen Menschen, eines Schimpansen oder einer Eidechse sehen.“ Für Fabian Scheidler als erlebendes Wesen ist die Welt zunächst nicht in eine Innen- und eine Außenperspektive geschieden: „Der Apfelbaum, den ich sehe, ist ebenso eine primäre Qualität. Ebenso die Musik, die ich höre, oder der Schmerz in meinem Fuß.“ Quelle: „Der Stoff aus dem wir sind“ von Fabian Scheidler

Von Hans Klumbies