Sartre war ein atheistischer Existentialist

Im Jahr 1945, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, hielt Jean-Paul Sartre seine berühmt gewordene Rede „Der Existenzialismus ist ein Humanismus“. Darin ist keine Spur von Religiosität und nicht einmal mehr des Ringens darum zu finden. Ger Groot weiß: „Sartre geht von einem unproblematischen Atheismus aus, der keiner Rechtfertigung bedarf – und auch keine erhält.“ Er stellt fest, dass es zwei Arten von Existentialisten gibt: „Die ersten sind Christen, zu ihnen würde ich Karl Jaspers und Gabriel Marcel zählen. Und dann gibt es die atheistischen Existentialisten, zu denen man Matin Heidegger sowie die französischen Existentialisten und mich selbst zählen muss.“ Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

Henri Bergson entwickelt eine Theorie der Zeit

Mehr sagt er nicht dazu, und eindeutiger kann man es auch kaum formulieren. Zwei Jahre zuvor hat Jean-Paul Sartre sein Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“ publiziert. In diesem darf Gott höchstens kurz in Form eines Gedankenexperiments oder eines unmöglichen Konstrukts eine Rolle spielen. Möglicherweise hat Sartre den Atheismus etwas vorschnell willkommen geheißen, ohne dessen Konsequenzen ausreichend in den Blick zu nehmen. Jean-Paul Sartre wird akademisch in einer philosophischen Atmosphäre ausgebildet, die ganz von Immanuel Kant und René Descartes geprägt ist.

Doch vom Rande her dringt ein anderer Stil des Denkens ein. Die rationalistische Klarheit erhält Konkurrenz von einer Philosophie, welche die Klarheit des Bewusstseins und Objektivierung der Wirklichkeit infrage stellt. Ger Groot erklärt: „Innerhalb Frankreichs geht der Angriff von Henri Bergson aus, der um 1900 vor allem mit seiner Theorie der Zeit Aufsehen erregt. Zeit ist keine objektive Gegebenheit wie die Uhrzeit, sagt Bergson. Zeit ist zuallererst etwa Subjektives, das unmittelbar mit der Selbsterfahrung des Menschen zusammenhängt.“

Die Dauer der Zeit ist primär für einen Menschen

Die Zeit dauert: Die Dauer einer Zeitspanne kann lang oder kurz sein, abhängig von der Stimmung der betreffenden Person und unabhängig von der objektiven Zeitmessung. Der Begriff der „Uhrzeit“ steht hier der „Dauer“ gegenüber, der vom Subjekt erlebten Zeit. Die objektive Zeit ist nach Henri Bergsons Ansicht sicher nicht grundlegender als die erlebte Zeit. Sie ist vielmehr eine Reduktion von dieser. Die Dauer ist reicher und steht in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Rhythmus des Lebens.

Dies macht Marcel Proust in seinem großen Romanzyklus „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ deutlich. Ger Groot erläutert: „Die Dauer ist primär für das lebende und existierende Wesen, das der Mensch ist.“ Bei Henri Bergson kommt eine Philosophie zur Entwicklung, die von dem konkreten menschlichen Dasein ausgeht und sich weigert, dieses einem objektivierend-positivistischen Schema zu unterwerfen. Sein Denken entfaltet sich parallel zu dem, war sich zur selben Zeit in Deutschland ereignet – und das gilt in Frankreich nicht gerade als Empfehlung. Quelle: „Und überall Philosophie“ von Ger Groot

Von Hans Klumbies