Im Buddhismus bilden Stoff und Erleben eine Einheit

Was Menschen Materie nennen, ist gar nicht so tot, wie sie glauben. Die Trennlinie zwischen Lebendigem und Unbelebtem reicht nicht in eine absolute Tiefe. Denn das Unbelebte trägt bereits Vorformen, Potenziale und Keimformen lebendigen Erlebens in sich. Der Fehler, der in eine Sackgasse geführt hat, liegt in einem falschen Begriff der Materie. Dieser wurde zu Beginn der neuzeitlichen Wissenschaften gefasst. Fabian Scheidler erklärt: „Die Ursprünge dieser bisweilen als „Panpsychismus“ bezeichneten Position reichen weit in die Geschichte von Philosophie und Wissenschaften zurück.“ Die indische Samkhya-Theorie entstand vor mehr als 2500 Jahren. Dort ist der Urstoff des Universums, „prakriti“ nicht als tot und passiv gedacht. Sondern man fasst es als aktives Prinzip auf, das auch Empfindungs- und Wahrnehmungsvermögen umfasst. Der Publizist Fabian Scheidler schreibt seit vielen Jahren über globale Gerechtigkeit.

Colin McGinn unterscheidet zwei Arten des Panpsychismus

Auch in der buddhistischen Lehre bilden Stoff und Erleben als „namarupa“ eine Einheit. In der westlichen Tradition wurden ähnliche Positionen von vorsokratischen Naturforschern wie Thales und Anaxagoras vorgebracht. In der Neuzeit schlossen sich unter anderem Denker wie Baruch de Spinoza, Gottfried Wilhelm Leibnitz, Bertrand Russell dieser Position an. Es handelt sich also keineswegs um eine esoterischen Randposition, sondern um eine wichtige Denktradition, auch im Westen.

Der britische Philosoph Colin McGinn unterscheidet zwei Arten des „Panpsychismus“, eine harte und eine weiche. Die harte Variante behauptet, alles in der Natur, selbst Steine und Atome, würden über ein voll entwickeltes Empfindungs- und Denkvermögen verfügen. Fabian Scheidler betont: „Diese Version hat allerdings kaum ernstzunehmende Verfechter und überzeugende Argumente zu bieten.“ Weder deutet irgendetwas im Verhalten von Steinen auf ein solches Innenleben hin, noch ist klar, warum Lebewesen dann überhaupt ein Nervensystem bräuchten, um ihre Innenwelt zu entfalten.

Die Materie besitzt einen rudimentären Teil von Erlebnisfähigkeit

Die schwache – und ernster zu nehmende – Theorie hingegen besagt, dass das, was Menschen Materie nennen, Vorformen oder Keime dessen besitzt, was sich in Lebewesen dann zu einer ausgebildeten Innenwelt organisieren kann. Schon der französische Universalgelehrte Denis Diderot wies darauf hin, dass das, was man Materie nennt, zumindest einen rudimentären Keim, eine Potenzialität von Erlebnisfähigkeit besitzt. Zu Denis Diderots „potenzieller Erlebnisfähigkeit“ gibt es im menschlichen Leben eine interessante Analogie: den traumlosen Tiefschlaf.

Der Schlafende verfügt in dieser Phase zweifellos über das Potenzial, etwas zu erleben. Fabian Scheidler erläutert: „Schließlich kann er jederzeit aufwachen oder zu träumen beginnen. Aber diese Möglichkeit schläft ebenfalls.“ Nach allem, was man aus der Schlafforschung weiß, findet in diesen Phasen nichts statt, das Ähnlichkeit mit dem bewussten Erleben oder auch mit Träumen hat, und das, obwohl es messbare Hirnaktivitäten gibt. Quelle: „Der Stoff aus dem wir sind“ von Fabian Scheidler

Von Hans Klumbies