Das kreative Leben ist Sinnenleben

Das „höhere Leben“ des Menschen lässt sich mitnichten auf abstrakte Weise über Arbeit, Aktivität oder Kommunikation definieren. Emanuele Coccia erklärt: „Nicht das Lebendige wirkt auf Dinge ein, weil jeder Naturgegenstand sich unmittelbar auf die Dinge auswirkt. Das kreatürliche Leben ist in erster Linie weder Arbeit noch Aktivität, sondern Sinnenleben.“ Was das Lebendige am Menschen ausmacht, ist somit seine Fähigkeit, Bilder von Dingen zu erzeugen. Nicht als Praxis, auch nicht als Poiesis, sondern als Zwischensphäre des Umgangs mit und der Erzeugung von Sinnlichem. Dabei geht es nicht um die Fähigkeit, Formen in Objekten zu verkörpern. Sondern es geht um das Vermögen, diese für eine Weile außerhalb der Dinge und außerhalb des Subjekts am Leben zu erhalten. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

Nicht allein das Denken bestimmt das menschliche Leben

Ob es sich um Entwürfe, Zeichnungen oder Musik handelt. Ein Großteil der geistigen Tätigkeiten der Menschen lebt vor allem von dieser Fähigkeit, eine Form zum Verweilen in einem Medium zu bringen, bevor sie wieder in das Reich der Dinge eintritt. Nicht allein das Denken bestimmt das menschliche Leben. Sondern es ist die Kraft, diese Ideen freizusetzen und ihr ein Eigenleben zuzugestehen sowie das Geschick, sie in ein Medium zu überführen. Der „Geist“ objektiviert sich also vor allem im tagtäglichen Umgang, den man passiv wie aktiv mit den natürlichen und künstlichen Medien hat.

Die geistige Existenz eines Menschen kann sich nur in den Medien außerhalb von ihm fortsetzen. Emanuele Coccia stellt fest: „Nur durch Bilder können wir den Dingen Gestalt verleihen und in andere Lebewesen eindringen. Mit Hilfe des Sinnlichen, das wir sind und erzeugen, können wir uns aus der subjektiven Sphäre herausbefördern.“ Dadurch können Menschen in anderen Sphären leben und einen Einfluss auf die Welt und die übrigen Lebewesen ausüben.

Der Geist überlebt allein durch die Medien

Indem Menschen Sinnliches erzeugen, wirken sie als Lebende – und nicht als bloße Portionen ausgedehnter Masse oder quantifizierbare physikalische Kräfte – auf die Wirklichkeit ein. Durch die persönliche Erscheinung macht man Eindruck auf die Mitmenschen. Die Verbundenheit der Kreatur mit der Welt ist nur durch die sie umgebenden Medien möglich. Die Medien transportieren die Formen vom Objekt zum Subjekt.

Dank der Medien gelangen die intentionalen Formen von einer Seele zur anderen. Der Geist existiert und beschränkt sich nicht auf eine immanente Kraft des Individuums. Der „Geist“ subsistiert und überlebt allein durch die Medien, die ihn am Leben erhalten und in etwas Sinnliches verwandeln. Sie befreien ihn aus seiner rein seelischen, innerlichen Existenz. Sie machen ihn unendlich partizipierbar und verleihen ihm die Konkretheit der Dinge oder zumindest eines Bildes der Dinge. Quelle: „Sinnenleben“ von Emanuele Coccia

Von Hans Klumbies