Emanuele Coccia erforscht das Sein des Sinnlichen

Spiegel erinnern daran, dass es Bilder, dass es Sinnliches im Universum gibt. Und sie erinnern auch daran, dass das Sinnliche, die Bilder, weder eine Eigenschaft der Dinge noch das Akzidenz des Bewusstseins von Mensch und Tier ist. Bilder haben vielmehr ein spezielles Sein, sind eine Sphäre des Realen. Sie sind aber getrennt von den anderen Sphären. Sie sind etwas, das in sich selbst existiert, mit einem besonderen Seinsmodus, dessen Formen beschrieben werden müssen. Deshalb ist die Wissenschaft vom Sinnlichen für Emanuele Coccia eine regionale Ontologie. Diese kann eine andere Seinsgattung jenseits vom Sein der Dinge und vom Sein des Geistes oder des Bewusstseins statuieren: das Sein des Sinnlichen. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

Bildern ist eine gewisse Seinsschwäche zu eigen

Die scholastische Philosophie hat lang und breit über die Prinzipien einer solchen „Spezialontologie“ nachgedacht. Das Bild, erklärten die Theologen des Mittelalters, habe ein geringeres Sein gegenüber dem Sein des Bildgebers. Roger Bacon stellte zu seiner Schrift über die Optik bereits fest: „Man spricht gemeinhin von Intention. Da ihnen (den Bildern) verglichen mit dem Sein der Dinge eine gewisse Seinsschwäche zu eigen ist. Häufig sagt man von einem Ding, dass es sich nicht wirklich um ein Ding handele, sondern um seine Intention. Das heißt eine Art Ähnlichkeit.“

Und schon Avicenna hatte in seiner „Metaphysik“ geschrieben, die „Intention ist im Sein geringer, als man dank ihrer zu denken vermag“. Über Bilder zu sprechen, bedeutet für Emanuele Coccia, Mikroontologie zu betreiben. Das heißt, über den schwächsten und zerbrechlichsten Seinsgrad im ganzen Universum zu sprechen. Deshalb besteht für die neue Wissenschaft die ernste Schwierigkeit, den Unterschied zwischen der Seinsgattung der Dinge, also der realen Gegenstände, und der Bilder zu bestimmen.

Das Sein der Bilder ist etwas Dazwischenliegendes

Wie Johannes Buridan in seinem Kommentar zu „De anima“ des Aristoteles beklagte: „Der Unterschied zwischen dem Sein, das wir real oder körperlich nennen, und dem Sein, das wir geistig oder intentional nennen, ist einigermaßen dunkel.“ Die Gegenüberstellung des realen Seins mit dem geringeren, schwachen Sein der Bilder bedeutet nicht, an das sogenannte „Imaginäre“ der Moderne zu denken. Das Sein der Bilder, so Averroes, sei etwas Dazwischenliegendes. Es sei ein Medium zwischen dem Sein der Dinge und dem Sein der Seele, zwischen Körper und Geist.

Die Formen, die außerhalb der Seele existieren, haben ein rein körperliches Sein, die in der Seele ein rein geistiges. Genau deshalb sei das Sein der Bilder notwendig, so Averroes. Doch es stelle das einzige Element dar, dass der Natur den Übergang vom Reich des Geistigen in das Reich des Körperlichen und umgekehrt ermöglicht. Damit das Geistige das Körperliche ergreifen, sich anverwandeln kann, braucht es ein Medium. Quelle: „Sinnenleben“ von Emanuele Coccia

Von Hans Klumbies

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